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Grundrecht als Rechtfertigung der Straftat?: Aspekte aus der taiwanesischen Strafrechtspraxis

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Grundrecht als Rechtfertigung der Straftat?:

Aspekte aus der taiwanesischen Strafrechtspraxis

HSU Heng-da

A. Vorwort

B. Aktuelle Entwicklung in der taiwanesischen Strafpraxis 1. Der Fall der Arbeitgeberin

2. Der Fall der Schauspielerin 3. Der Fall der Statue C. Diskussionen

1. Lehrmeinungen 2. Eigene Ansicht

a. Suche nach dem beeinträchtigten Grundrecht b. Geeignetheit c. Erforderlichkeit d. Angemessenheit 3. Ergebnis D. Schlussbemerkung

A. Vorwort

Sowohl in Deutschland als auch in Taiwan herrscht das Rechtsstaatsprinzip. Demnach ist allgemein anerkannt, dass die Verfassung im ganzen Rechtssystem den Vorrang hat. Versteht sich die Strafe als der schärfste staatliche Eingriff in die persönlichen Grund-rechte, so ist die Bestimmung einer Straftat stets der verfassungsrechtlichen Kontrolle und Prüfung zu unterziehen. Allerdings haben die Strafrechtler seit dem 19. Jahrhundert ein klares Verbrechenssystem entwickelt. Um die Strafbarkeit einer Tat festzulegen, muss man in logischen Schritten die Tatbestandsmäßigkeit, die Rechtswidrigkeit und die Schuld-haftigkeit überprüfen. Diese Hochentwicklung der systemorientierten Strafrechtsdogmatik führt dazu, dass bei der Feststellung einer Straftat hauptsächlich die künstlichen Begriffe des Strafrechts herangezogen werden, ohne dabei die verfassungsrechtliche Kontrolle zu berücksichtigen. Auch wenn sich die verfassungskonforme Auslegung des Straftatbestandes in mehreren Entscheidungen sowohl des deutschen Bundesverfassungsgerichtshofs als auch

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des taiwanesischen Verfassungsgerichts durchgesetzt hat, haben grundrechtsbezogene Überlegungen bisher kaum Einfluss auf die dogmatischen Diskussionen zur Voraussetzung einer Straftat ausgeübt.

Hat die Verfassung im ganzen Rechtssystem den Vorrang, ist daraus zu folgern, dass die grundrechtsbezogenen Überlegungen nicht nur für das öffentliche Recht, sondern auch für die Auslegung des Strafrechtstatbestandes maßgebend sind, damit die Grundrechte des Täters, aber auch des Opfers wirksamer gewährleistet werden können. Infolgedessen scheint es mir erforderlich, die grundrechtsbezogenen Diskurse in die dogmatischen Themenstellungen des Strafrechts miteinzubringen. Angesichts der Vielfalt der möglichen Themenstellungen kann hier leider nicht auf alle Probleme ausführlich eingegangen werden. Lediglich eine Frage soll uns beschäftigen, ob sich nämlich ein Grundrecht als selbstständiger Rechtfertigungsgrund im Rahmen des materiellen Strafrechts so manifestieren kann, dass die Rechtswidrigkeit des tatbestandsmäßigen Verhaltens unter Berufung auf dieses Grundrecht zu verneinen wäre1).

Offenkundig ist ein tatbestandsmäßiges Verhalten nur dann rechtswidrig, wenn es nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist. Auf der zweiten Prüfungsebene der Rechtswidrigkeit besteht die Hauptaufgabe daher darin, nach einem angemessenen Rechtfertigungsgrund zu suchen. Von der Strafpraxis und der Strafrechtslehre sind seit Langem mehrere Rechtfertigungsgründe entwickelt worden, wie z.B. Notwehr, Nothilfe, Einwilligung usw. Es gibt aber nicht nur in Deutschland, sondern auch in Taiwan recht wenige Fälle, in denen das Gericht ein tatbestandsmäßiges Verhalten aufgrund des rechtfertigenden Grundrechts nicht bestraft hätte. Überraschenderweise lassen sich in Taiwan einige aktuelle Entscheidungen finden, in denen das Gericht sich mit der Möglichkeit, durch das Grundrecht eine Tat zu rechtfertigen, auseinandergesetzt hat. Im Folgenden werde ich kurz über diese Entscheidungen berichten.

B. Aktuelle Entwicklung in der taiwanesischen Strafpraxis

Im zweiten Kapitel werde ich auf drei verschiedene Fälle eingehen, bei deren Ent-scheidung das Gericht ein Grundrecht als Rechtfertigung der angeklagten Tat diskutiert hat.

1. Der Fall der Arbeitgeberin

Der erste Fall betrifft die Anwendung der Grundrechte auf die Presse- und Informationsfreiheit der Massenmedien, mit dem Effekt dass es nicht zur Strafbarkeit von Journalisten kommt, welche durch Fotografieren, zum Zwecke der Informationsbeschaf-1) Für weitere Diskussionen, vgl. Rupert Eilsberger, Rechtstechnische Aspekte der verfassungskonformen Strafrechtsanwendung, JuS 1970, S. 321 ff.; Hans Kudlich, Grundrechtsorientierte Auslegung im Strafrecht, JZ 2003, S. 127 ff.; Heiner Christian Schmidt, Grundrechte als selbstständige Strafbe-freiungsgründe, ZStW 121 (2009), S. 649 ff.

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fung, in den persönlichen Lebensbereich eingegriffen haben.

In diesem Fall steht im Vordergrund ein Gehaltsstreit an einem Kindergarten zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin2). Nach Angaben der Arbeitnehmerin hatte die

Arbeitgeberin die Zahlung des Monatsgehaltes verweigert. Um über dieses Ereignis in einem Magazin mit Illustrationen berichten zu können, fotografierten die Journalisten des Magazins die Arbeitgeberin insgeheim und druckten sodann die Aufnahmen ohne ihre Einwilligung ab.

Rechtlich betrachtet tangiert dieser Fall hauptsächlich § 315a Abs. 1 Nr. 2 tStGB, der einem Täter, der unbefugt mit einem Gerät oder Instrument nichtöffentliche mündliche Äußerungen, Gespräche, Bewegungen oder intime Körperpartien fotografiert oder auf Tonträger aufnimmt, Strafe androht. Es steht außer Zweifel, dass die angeklagten Journalisten in diesem Fall nichtöffentliche Bewegungen der Arbeitgeberin fotografiert und sodann in ihrem Magazin verbreitet haben. Damit haben sie den Tatbestand erfüllt. Aller-dings ergibt sich daraus die nächste Frage, ob nämlich die Journalisten die Fotos „unbefugt“ aufgenommen haben, bedenkt man ihre Absicht, den Bericht über den Arbeitsstreit zu illustrieren. Selbstverständlich hängt vom Merkmal „unbefugt“ ein möglicher Rechtfertigungsgrund ab.

In erster und zweiter Instanz wurden die Täter freigesprochen. Schließlich kam es in diesem Fall zur Revision vor dem taiwanesischen Obersten Gerichtshof (OGH). Der OGH führte in seiner Entscheidung in erster Linie die Prinzipien der Rechtsanwendung aus. Die Frage, ob die Täter den Eingriff in die Privatsphäre unbefugt durchgeführt hatten, könne nur durch die Suche nach einem geeigneten Rechtfertigungsgrund beantwortet werden. Dabei orientierte sich der OGH nicht an den im tStGB vorgeschriebenen oder strafrechtswissenschaftlich allgemein anerkannten ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen, vielmehr berief er sich auf die Grundrechte als selbstständigen Rechtfertigungsgrund. Demnach sei den Menschen nach Art. 11 tGG die Freiheit der Meinungsäußerung garantiert, welche im Einzelnen die Kommunikations-, Kunst-, Wissenschafts-, Rundfunk-sowie Pressefreiheit umfasse. Bei den Begriffen der Rundfunk- und Pressefreiheit gehe es weniger um das Recht des Individuums als um das der Medien, damit diese der Allgemeinheit ungehindert die nötigen Informationen zur Verfügung stellen könnten, wozu auch die Kritik an politischen und gesellschaftlichen Missständen gehöre. Wolle ein Journalist seinem Publikum die erforderlichen Informationen vermitteln mit dem Ziel, die Realität der Gesellschaft abzubilden, so erfordere dies die Recherche der relevanten Fakten und Geschehnisse. Dabei sei es nicht immer zu vermeiden, dass der Journalist in die Privatsphäre eindringe. Ohne dieses Eindringen sei es für den Journalisten schwerlich möglich, sich mit den geeigneten Informationen zu versorgen und Falschmeldungen umgehend richtigstellen zu können.

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Daher kam der OGH zum Schluss: Soweit der journalistische Eingriff in die Privatsphäre für die Beschaffung wichtiger Informationen erforderlich sei, rechtfertige der Schutz der Pressefreiheit die Verletzung der Privatsphäre. Dieses Verhalten könne dann als „befugt“, sprich als erlaubt, gelten. Zur Frage, unter welchen Umständen ein Journalist „befugt“ in die Privatsphäre eingreifen dürfe, äußerte sich das Gericht dahin gehend, dass es von dem konkreten Fall abhängig sei.

Anschließend behandelte das OGH den konkreten Fall und begründete den Freispruch der Angeklagten, wie folgt: Es handle sich um einen Streit um das Arbeitsgehalt. Die Arbeitnehmerin behaupte, dass die Arbeitgeberin das Monatsgehalt nicht rechtzeitig auf ihr Konto überwiesen habe. Daher seien die öffentlichen Interessen betroffen. Selbst wenn die Journalisten die Fotos von der Arbeitgeberin ohne ihre vorherige Einwilligung aufgenommen haben sollten, sei das Interesse an der Klärung des Geschehens, oder abstrakt gesagt: die Verwirklichung der Pressefreiheit, wichtiger als das Persönlich-keitsrecht der Arbeitgeberin. Mit Hinblick auf die Rechtfertigungsfunktion des Grundrechts auf Pressefreiheit wurden die Journalisten des Magazins vom OGH freigesprochen3).

2. Der Fall der Schauspielerin

In einem ähnlichen Fall, in dem Journalisten in die Privatsphäre einer Schauspielerin eingedrungen waren, um über ihr Privatleben zu berichten, setzte sich die taiwanesische Rechtsprechung nochmals mit der Strafbarkeit des § 315a Abs. 1 Nr. 2 tStGB auseinander. Diesmal kam das Gericht jedoch zu einem anderen Ergebnis, und zwar lehnte es die Berufung auf ein Grundrecht zum Ausschlusse der Rechtswidrigkeit ab.

Der Sachverhalt stellt sich folgendermaßen dar4): Eine sehr bekannte Schauspielerin

hatte mit ihren Freunden im eigenen Haus eine Party veranstaltet. In der Annahme, die Schauspieler würden dort unter Drogenkonsum feiern, versuchten die Journalisten eines Magazins, in das sich daneben befindliche Gebäude einzudringen und von einer oberen Etage die nichtöffentlichen Bewegungen der Schauspielerin und ihrer Freunde zu fotografieren. Ein Drogenkonsum konnte jedoch nicht dokumentiert werden. Es geht nochmals um die Frage, ob die Journalisten die Fotos „unbefugt“ aufgenommen haben. Die angeklagten Journalisten verlangten daraufhin vor Gericht, sie seien von der Verletzung der Privatsphäre freizusprechen. Ihrer Meinung nach seien die Medien aufgrund der Presse-und RPresse-undfunkfreiheit dazu berechtigt, unter gewissen Umständen das Privatleben bekannter Schauspieler in Augenschein zu nehmen. Dabei versuchten sie, das Gericht davon zu überzeugen, dass es sich im Wesentlichen um ein öffentliches Interesse handle und der Eingriff in die Privatsphäre zur Dokumentation einer das Gemeinwohl betreffenden 3) Dazu vgl. auch Bernd Heinrich, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Pressemitarbeitern bei der unbefugten Herstellung und Verbreitung fotografischer Darstellungen von Personen, ZIS 5/2011, S. 416 ff.

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Tatsache erforderlich sei. Insbesondere weil sie von einem Informanten gehört hätten, dass die Partygäste vorgehabt hätten, Drogen zu konsumieren, sei ihr Verhalten durch die Pressefreiheit gedeckt und daher strafrechtlich nicht zu beanstanden.

Das Argument der Journalisten wurde jedoch vom OGH abgelehnt. Seiner Meinung nach rechtfertigte die bloße Vermutung eines Informanten, es könne zu Drogenkonsum kommen, nicht den Eingriff der Journalisten. Eine derart vage Information begründe kein legitimes Interesse an einem Eingriff in die Privatsphäre. Das Grundrecht der Presse- und Informationsfreiheit rechtfertige einen solchen Eingriff nicht. Die Journalisten, die die Fotos von den Partygästen gemacht hatten, seien wegen des unbefugten Eingriffs in die Privatsphäre unter Strafe zu stellen.

3. Der Fall der Statue

Zum Schluss gehe ich auf einen Fall betreffend das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ein. Vor meinen Ausführungen muss ich darauf hinweisen, dass dieser Fall noch nicht abschließend entschieden ist5).

Der betreffende Fall stellt sich wie folgt dar: Seit vielen Jahren steht eine Statue zum Gedenken an Sun Yat-sen in einem innenstädtischen Park von Tainan City. Der Angeklagte hatte lange Jahre Reformen nach dem Muster der Transitional Justice gefordert. Um seiner politischen Forderung Nachdruck zu verleihen, versuchte er mehrmals, diese Statue aus dem Park zu entfernen bzw. zu beschädigen. Eines Tages versammelte er sich mit Freunden im Park. Ohne die vorherige Bewilligung der zuständigen Behörde beschädigten sie die Statue schwer. Daraufhin wurde er von der Staatsanwaltschaft wegen der Beschädigung dieses historischen Denkmals angeklagt (§ 354 tStGB). Er beanspruchte jedoch im Strafverfahren, das Gericht habe ihn aufgrund des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung freizusprechen.

Zwar setzte sich in der ersten Instanz der Lokalgerichtshof Tainan (LGH Tainan) mit der Möglichkeit auseinander, die individuelle Meinungsfreiheit als Rechtfertigungsgrund gelten zu lassen. Es kam letztlich jedoch zu der Entscheidung, dass dieser Anspruch leider nicht zutreffe und der Angeklagte folglich unter Strafe zu stellen sei. Der LGH Tainan führt zur Strafbarkeit aus: Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung sei zwar verfassungsrechtlich garantiert, es könne aber unter gewissen Umständen strafrechtlich in legitimer Weise eingeschränkt werden. Um die Grenze zu ziehen, müsse im Einzelfall beurteilt werden, ob die Meinungsfreiheit die vom Angeklagten verletzten Rechtsgüter überwiege. Wolle der Angeklagte seine politischen Einstellungen Sun Yat-Sen gegenüber äußern, so verfüge er über viele Alternativen, die weniger schwerwiegend als die Beschädigung der Statue seien. In Betracht, dass die Stadt Tainan in der Folge hohe Kosten für die Reparatur des Sun-Yat-Sen-Standbildes zu tragen hatte, vertritt das LGH

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Tainan die Meinung, die Beschädigung des Denkmals stelle keineswegs das mildeste Mittel zur Verwirklichung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit dar. Folglich könne er sich nicht auf den Schutz des Grundrechts berufen und müsse unter Strafe gestellt werden.

C. Diskussionen

1. Lehrmeinungen

Wie oben dargestellt existieren bereits in der gegenwärtigen Strafrechtswissenschaft zahlreiche seit Langem anerkannte Rechtfertigungsgründe, die die Rechtswidrigkeit einer tatbestandsmäßigen Tat ausschließen können. Einige jener Gründe sind im Strafgesetzbuch vorgeschrieben, während andere zwar von der herrschenden Lehre anerkannt werden, jedoch übergesetzlich bleiben. Bei der hier behandelten Problematik stellt sich vorwiegend die Frage, inwiefern man den Grundrechten die Funktion einer selbstverständigen Rechtfertigung einräumen kann. Es geht also um die Frage, ob das Verhalten eines ein Rechtsgut verletzenden Täters unter Berufung auf ein bestimmtes Grundrecht nicht zu bestrafen sei.

Kein Zweifel besteht daran, dass sich der Einsatz der Strafsanktion, die sowohl in die Freiheit als auch das Vermögen des Täters eingreift, nur als strafrechtliche Eingriffe in die Grundrechte des angeklagten Täters verstanden werden können. Daher äußert sich die erste Lehrmeinung dahingehend, dass die Frage, ob der strafrechtliche Grundrechtseingriff im Einzelfall gerechtfertigt werden könne, nicht nur aus strafrechtlicher, sondern auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive zu überprüfen sei6). Unbestritten ist im modernen

Rechtsstaat, dass das verfassungsrechtliche Schutzsystem der Grundrechte als fundamen-taler Rahmen zur Abwehr staatlicher Eingriffe in die persönliche Interessenssphäre fungiert. Selbstverständlich hat die Verfassung, oder genauer formuliert: die Diskurse der Grund-rechte im Verfassungsrecht, bei der Auslegung der Rechtsnormen stets den Vorrang sowohl im öffentlich-rechtlichen als auch im strafrechtlichen Bereich. Nimmt man diese Auffassung ernst, muss die Strafrechtsanwendung, die auch eine Erscheinungsform der Staatsgewalt ist, an die Verfassungskontrolle gebunden werden. Für das strafrechtliche Gebiet gilt daher das Verhältnismäßigkeitsprinzip, wonach der Grundrechtseingriff nur verfassungsrechtlich für erlaubt gehalten wird, wenn er zur Förderung der öffentlichen Interessen geeignet, erforderlich sowie angemessen ist7). Um die Grundrechte, in die

strafrechtlich eingegriffen wird, optimal zu gewährleisten, ist das zuständige Gericht dazu verpflichtet, eine umfassende Abwägung von tatbestandlich geschützten Rechtsgütern und betroffenen Grundrechten durchzuführen. Wenn Schutzgewicht und Ausmaß der Grund-rechte, in die strafrechtlich eingegriffen wird, das tatbestandlich zu schützende Rechtsgut

6) Vgl. z.B. Schmidt ZStW 121 (2009), S. 662 ff. 7) Vgl. Kudlich, JZ 2003, S. 130 ff.

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überwiegen, kann das tatbestandsmäßige Verhalten ein angemessenes Mittel zur Verfolgung eines berechtigten Zwecks sein, und wäre folglich strafrechtlich zu rechtfertigen. Das Grundrecht spielt insofern die ausschlaggebende Rolle für die dogmatische Rechtfertigung eines solchen Verhaltens. Anders formuliert: Auch wenn die gesetzlichen oder allgemein anerkannten übergesetzlichen Rechtfertigungsgründe zum Ausschluss der Strafbarkeit im Einzelfall nicht anwendbar sind, kann dem Grundrecht die Funktion des selbstständigen Rechtfertigungsgrundes zukommen8).

Allerdings wird die besprochene Auffassung noch nicht allgemein akzeptiert. Die gegenteilige Meinung, die weiterhin die unmittelbare Anwendung der Grundrechte als Rechtfertigungsgründe ablehnt, wird von einigen Strafrechtlern vertreten9). Sie heben

zunächst auf die Allgemeinheit der Grundrechte ab, denn diese stellten nur eine generelle Richtlinie zum Schutze der Betroffenen dar. Die Grundrechte seien jedoch nicht ausreichend, um sich anhand ihrer mit dem komplizierten Sachverhalt eines konkreten Einzelfalls zu befassen. Beispielsweise gibt es mehrere Voraussetzungen des klassischen Rechtfertigungsgrundes für Notwehr, wie Notwehrlage, Erforderlichkeit der Verteidigungs-handlung (eventuell sogar Gebotenheit der VerteidigungsVerteidigungs-handlung) sowie Verteidi-gungswille. Im Einzelfall müssen die dargelegten Voraussetzungen der rechtfertigenden Notwehr konkret und detailliert geprüft werden. Mit dem Begriff des Grundrechts lassen sich dogmatische Fragen des Strafrechts nicht zufriedenstellend beantworten. Daher ist anzunehmen, dass die strafrechtsdogmatischen Diskurse bei der Feststellung der Strafbar-keit immer den Vorrang vor verfassungsrechtlichen Grundrechtsgedanken einnehmen werden. Obwohl das Grundrechtssystem im Rechtsstaat den persönlichen Freiheitsraum gewährleistet, ist es für die strafrechtliche Einzelfalllösung kaum nutzbar zu machen. Daraus ergibt sich, dass Grundrechte selten als eigenständige Rechtfertigungsgründe im Strafrecht gelten. Vielmehr können sie lediglich als Hilfsmittel zur Interpretation der oben genannten Rechtfertigungsgründe hinzugezogen werden. Genauer formuliert: Das Grundrecht verfügt nur über die Funktion einer mittelbaren interpretativen Funktion für die genannten Rechtfertigungsgründe, es ermangelt jedoch einer direkten Rechtfertigungs-wirkung.

2. Eigene Ansicht

Vereinfacht dargestellt existieren zur Problematik, ob ein Grundrecht unmittelbar ein tatbestandsmäßiges Verhalten rechtfertigen kann, zwei unterschiedliche Meinungen. 8) Ähnliches vgl. ClausRoxin, AT/1, 4. Aufl., 2006, § 18 Rn. 49. Diskussionen in Taiwan, vgl. Chih-Jen

Hsueh, Civil Disobedience from the View of Criminal Law, Academia Sinica Law Journal, No. 20, S.

165 ff.

9) Wolfgang Naucke, Strafrecht: Eine Einführung, 9. Aufl., 2000, § 2 Rn. 99, 101; Luís Greco,

Verfassungskonformes oder legitimes Strafrecht? Zu den Grenzen einer verfassungsrechtlichen Orientierung der Strafrechtswissenschaft, in: Brunhöber et al. (Hrsg.): Strafrecht und Verfassung, 2013, S. 34.

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Während die zweite Meinung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit die Grundrechte lediglich mittelbar durch die allgemein anerkannten Rechtfertigungsgründe angewandt sehen möchte, beharrt die erste auf der unmittelbaren Wirkung der Grundrechte, wodurch die Rechtswidrigkeit aufgehoben werden kann.

Meiner eigenen Meinung nach lassen sich weder die eine noch die andere Lehre in ihrer Reinform rechtfertigen. Eine vermittelnde Auffassung scheint mir die beste Lösung . Dafür lassen sich zwei Hauptgründe nennen:

Erstens handelt es sich bei der Strafanwendung um zwei zu unterscheidende Grundrechtseingriffe. Gibt der Staat den Mitgliedern der Gesellschaft die strafrechtlichen Verhaltensnormen vor, welche die Grenze zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten ziehen, so ist die allgemeine Freiheit des persönlichen Verhaltens vom Gesetzgeber eingeschränkt. Auch im Falle des Strafvollstreckungs- und Strafvollzugsverfahrens wird in die Grundrechte des Verurteilten auf Vermögen und Freiheit rechtlich eingegriffen. Insofern es sich bei der strafrechtlichen Sozialkontrolle von Verhaltensnormen durch Strafandrohung und Strafverhängung stets um eine Grundrechtsbeeinträchtigung handelt, kann auf die verfassungsrechtliche Kontrolle bei der Strafrechtsanwendung keineswegs verzichtet werden. Der strafrechtliche Grundrechtseingriff ist nur dann legitim, wenn bei der Abwägung zwischen den Rechtsgutsverletzungen den Verletzten betreffend und den Grundrechten des Verurteilten, in die eingegriffen wird, im Ergebnis herauskommt, dass die beeinträchtigten Rechtsgüter die Grundrechte des Täters, in die eingegriffen wird, überwiegen. Auf jeden Fall ist also die verfassungsrechtliche Kontrolle bei der Strafrechtsanwendung erforderlich. Daher ist in einem Fall keine Strafe zu verhängen, in dem der Täter zum Zweck der überwiegenden Grundrechtsverwirklichung ein „minderwertiges“ Rechtsgut verletzt, selbst wenn sich keine angemessenen allgemein anerkannten Rechtfertigungsgründe finden kann. Um die Strafbarkeit auszuschließen, kann man bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit als letztes Mittel darauf zurückgreifen, die Grundrechte unmittelbar anzuwenden. In dieser Hinsicht bin ich der Meinung, dass die Anerkennung von Grundrechten als selbstständigen Rechtfertigungsgründen zu befürworten sei. Grundlegend scheint mir, dass die Strafbarkeit des Täters nicht nur der strafrechtlichen Prüfung, sondern auch der Verfassungskontrolle zu unterziehen ist.

Zweitens bleibt die Frage, welche Bedeutung bei der Prüfung von Verbrechen Grundrechten zukommen soll. Vor allem drängt sich die Frage auf, ob Grundrechte im Vergleich zu allgemein anerkannten Rechtfertigungsgründen eine vorrangige Rolle spielen können. Meines Erachtens wäre dem entgegenzuhalten, dass man dann Gefahr läuft, letztlich mittels der Grundrechte die Tat zu rechtfertigen. Denn, wie oben bereits dargelegt, schaffen die Grundrechte lediglich einen groben und generellen Rahmen, der den Raum der persönlichen Freiheit gewährleistet. In einem konkreten Fall jedoch könnte sich ein komplizierter Sachverhalt ergeben, der nur durch eine detaillierte Beschreibung und eine ausführliche dogmatische Analyse gelöst werden könnte. Die Grundrechte scheinen mir

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kaum geeignet, um den Details von Einzelfällen mit einer komplizierten Dogmatik gerecht zu werden und dafür zufriedenstellende Lösungen zu finden.

So betrachtet bin ich der Meinung, dass dem Grundrecht lediglich eine interpretative und subsidiäre Funktion im System der Rechtfertigungsgründe zukommen könne. D.h., sind Merkmale oder Voraussetzungen eines von der Lehre anerkannten Rechtfertigungs-grundes unklar, so kann man die relevanten Grundrechte in die Beurteilung der Rechtswidrigkeit jener Tat als Abwägungselemente mit einbeziehen, um unklare Aspekte zu beseitigen bzw. deren dogmatische Bedeutung näher festzulegen.

Gibt es allerdings keine für den Einzelfall geeigneten Rechtfertigungsgründe, muss man sich um eine Abwägung von schutzwürdigen Rechtsgütern gegen die betroffenen Grundrechte bemühen. Folgt man den grundrechtsbezogenen Diskursen, drängt sich die Frage auf, ob das Unter-Strafe-Stellen dieses tatbestandsmäßigen Verhaltens noch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entspricht. Ist diese Frage zu bejahen, lässt sich daraus schließen, dass die Grundrechte des Täters eine überragende Rolle spielen und die Strafanwendung nicht nur unverhältnismäßig sondern auch illegitim ist. Deswegen muss sein tatbestandsmäßiges Verhalten durch die vorrangige Schutzwirkung des betroffenen Grundrecht gerechtfertigt werden. Die praktische Prüfung im Einzelfall kann, wie folgt, ablaufen10):

a. Suche nach dem beeinträchtigten Grundrecht

In erster Linie wäre festzustellen, ob es keine weiteren Rechtfertigungsgründe gibt, die für den betreffenden Fall gelten würden. Wie oben dargestellt kommt den Grundrechten keine vorrangige Stellung bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit zu. Der Täter kann sich nur insoweit auf ein Grundrecht zur Rechtfertigung seines tatbestandsmäßigen Verhaltens berufen, als keine gesetzlichen oder übergesetzlichen Rechtfertigungsgründe anzuwenden sind.

Steht aber fest, dass es keine angemessenen Rechtfertigungsgründe gibt, so ist die Berufung auf ein Grundrecht als Rechtfertigungsgrund zulässig. Anschließend wäre zu untersuchen, welches der Grundrechte des Täters durch die Strafanwendung beeinträchtigt würde. Üblicherweise ist die Freiheit zur Durchführung der tatbestandsmäßigen Tat durch die Androhung von Sanktionen gegen die Freiheit oder das Vermögen eingeschränkt11). Je

nach Einzelfall kann es um unterschiedliche Grundrechte gehen. Zum Beispiel handelt es sich im oben dargelegten ersten und zweiten Fall um die Pressefreiheit, im dritten Fall aber um die Freiheit der Meinungsäußerung. In speziellen Fällen könnte das betroffene Grundrecht sogar die Religions- oder die Gewissensfreiheit sein12).

10) Ähnliches Prüfungsschema, vgl. Roxin, AT/1, § 18 Rn. 51-53. 11) Schmidt, ZStW 121 (2009), S. 662 ff.

12) Vgl. Otto Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte. Die Ermächtigung zum strafrechtlichen Vorwurf im Lichte der Grundrechtsdogmatik dargestellt am Beispiel der Vorfeldkriminalisierung, 1996, S. 226 ff.

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b. Geeignetheit

Steht fest, was das betroffene Grundrecht ist, besteht der nächste Schritt in der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, sprich der Geeignetheit der Strafanwendung. Hierfür wäre zu überprüfen, ob die Strafanwendung dem Gemeinwohl im Sinne der Gewährleistung der vom Täter verletzten Rechtsgüter förderlich ist13). Nach herrschender

Lehre braucht der Einsatz des strafrechtlichen Mittels den zu verfolgenden Zweck nicht vollständig zu erreichen. Vielmehr genügt, wenn seine Anwendung den Zweck des Rechtsgüterschutzes fördert. Üblicherweise gibt es diesbezüglich kaum Probleme.

c. Erforderlichkeit

Weiterhin stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit, ob es kein anderes, ebenso geeignetes, jedoch weniger belastendes Mittel als Strafverhängung gegeben hätte. Dabei geht es um die Suche nach einem möglichen alternativen Mittel zum Schutze des verletzten Rechtsgutes, das einerseits den gleichen Zweck erfüllen, andererseits jedoch milder ins Grundrecht eingreifen würde. Um hypothetische alternative Mittel, wie Geldbußen im Verwaltungsrecht oder die Strafanwendung, vergleichen zu können, muss die Eingriffsintensität in das Grundrecht des Täters betrachtet werden. Dabei ist nicht zu leugnen, dass normalerweise die strafrechtliche Anwendung als das Mittel, das eine schwerere Grundrechtsbeeinträchtigung darstellt, zu gelten hat. Freilich bedarf es einer Einzelfallprüfung14).

d. Angemessenheit

Schließlich stehen wir vor einer Interessenabwägung. Vergleichend muss zwischen den durch die Strafrechtsanwendung beeinträchtigten Grundrechten des Täters und den mit der Strafandrohung zu verfolgenden öffentlichen Interessen, die sich auf die Strafwürdigkeit einer Rechtsgutsverletzung bzw. -gefährdung beziehen, abgewogen werden15). Um zu einem

rationalen Ergebnis der Abwägung zu gelangen, seien drei Schritte vorgeschlagen: Erstens sind die durch die Strafanwendung zu verfolgenden öffentlichen Interessen im Sinne der Strafwürdigkeit im Einzelfall zu bewerten. Die Höhe der Strafwürdigkeit lässt sich nach Gewicht und Ausmaß der strafrechtlichen Rechtsgüter bestimmen. Je wichtiger das verletzte Rechtsgut, desto höher die Strafwürdigkeit und desto gewichtiger die betroffenen öffentlichen Interessen16). Normalerweise ist dies von der Abstufung der

Rechtsgüter abhängig. Zum Beispiel stellt das Rechtsgut des menschlichen Lebens das wichtigste Rechtsgut dar, und die Strafwürdigkeit des Totschlags rangiert mit am höchsten. Die Argumentation, ein Mensch könne aufgrund der Verwirklichung eines Grundrechts „legitim“ getötet werden, ist kaum zu begründen.

13) Kudlich, JZ 2003, S. 130 f.

14) Wieteren Diskussionen, vgl. Kudlich, JZ 2003, S. 131; 15) Schmidt, ZStW 121 (2009), S. 664.

16) Zum Begriff des Gemeinwohlbelangs im Prüfungssystem, vgl. Sebastian Kluckert, Die Gewichtigung von öffentlichen Interessen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, JuS 2015, S. 117 ff.

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Zweitens ist die strafrechtliche Eingriffsintensität in die betroffenen Grundrechte zu berücksichtigen. Es geht hierbei um die Frage, in welchem Ausmaß in die Grundrechte des Täters durch die strafrechtlichen Sanktionen eingegriffen wird. Im Einzelfall kann der Randbereich oder der Kernbereich eines Grundrechts beeinträchtigt werden. Wenn der Kernbereich eines Grundrechts strafrechtlich betroffen ist, muss es höhere öffentliche Interesse geben, die die strafrechtlichen Maßnahmen mit einer derart hohen Eingriffsintensität begründen können17).

Drittens ist zu untersuchen, ob die Wichtigkeit des durch die Strafanwendung verfolgten Zwecks die Intensität des Eingriffs in die Grundrechte überwiegt und somit zu rechtfertigen ist. Es handelt sich um eine Gesamtabwägung zwischen den Individualinte-ressen des Täters und dem Gemeinwohl. Ist den verfolgten öffentlichen InteIndividualinte-ressen weniger Gewicht beizumessen, darf die Verhängung der strafrechtlichen Maßnahmen durchaus nicht verhältnismäßig sein. In diesem Fall könnte die Verhängung der Strafe unverhältnismäßig in die verfassungsschutzwürdigen Grundrechte des Täters eingreifen. Daher sollte das tatbestandsmäßige Verhalten des Täters, das auf die Verwirklichung bestimmter seiner Grundrechte zielt, als rechtmäßig angesehen werden und deswegen außer Strafe stehen. Soweit in einem solchen Fall kein angemessener Rechtfertigungsgrund zu finden ist, ließen sich die schwerwiegenden Grundrechte des Täters unmittelbar als Rechtfertigungsgrund für jenes Verhalten anführen

3. Ergebnis

Nach alledem gilt festzuhalten, dass sich Grundrechte auf der Rechtswidrigkeitsebene als mögliche Rechtfertigungsgründe verstehen lassen. Sie haben aber eine sehr beschränkte Funktion. Erstens können die betroffenen Grundrechte zur Klärung eines uneindeutigen Rechtfertigungsgrundes herangezogen werden. Zweitens können Grundrechte als Rechtfertigungsgrund genutzt werden, wenn es keine sonstigen verfügbaren Gründe gibt und der Täter die Tat begeht, um einen rechtsstaatlich betrachtet legitimen Zweck zu verfolgen18).

D. Schlussbemerkung

Ich komme zum Schluss. Die verfassungsrechtlichen Diskurse haben bereits einen ziemlich starken Einfluss auf das Strafverfahrensrecht19). Vor allem ist nicht zu leugnen,

dass wir schon seit Langem die Kontrolle der Verfassungskonformität von strafprozesslichen Grundrechtseingriffen durchführen. Im materiellen Strafrecht hingegen scheint es zur verfassungsrechtlichen Kontrolle meist dann zu kommen, wenn überprüft

17) Schmidt, ZStW 121 (2009), S. 664 f.

18) Zu den weiteren Abwägungsparametern, siehe Schmidt, ZStW 121 (2009), S. 663 ff. 19) Vgl. z.B. Volker Krey, Deutsches Strafverfahrensrecht, Bd. 1, 2006, Rn. 29 ff.

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wird, ob ein strafrechtlicher Tatbestand verfassungswidrig ist oder nicht20).

Bei der strafrechtsdogmatischen Bearbeitung des Einzelfalls werden immer die typischen strafrechtlichen Begriffe benutzt. In Betracht dessen, dass uns die Verfassung die persönlichen Freiheiten garantiert, darf auch bei der strafrechtlichen Interpretation den verfassungsrechtlichen Diskursen nicht ausgewichen werden. Die strafrechtliche Interpreta-tion sollte sich enger an die verfassungsrechtlichen Diskurse anlehnen, denn nur die verhältnismäßige Strafanwendung kann legitim sein. In diesem Zusammenhang verfügen die Grundrechte über eine Doppelfunktion: Einerseits stellen sich die Grundrechte als Hilfsmittel bei der Interpretation von strafrechtlichen Begriffen wie Tatbestandsmäßigkeit, Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund dar. Andererseits – und sogar wichtiger – fällt den Grundrechten die Rolle des subsidiären Rechtfertigungsgrundes bei der Bestimmung der Rechtswidrigkeit eines tatbestandsmäßigen Verhaltens zu.

Zum Ende dieses Beitrages komme ich wieder auf die konkreten Lösungen der oben besprochenen Fälle zurück. Zu Beginn gingen wir auf den Arbeitgeberinnenfall ein. Meiner Meinung nach ist die Frage, ob die Berufung auf die Pressefreiheit das Verhalten der Journalisten, die dazu in die Privatsphäre eindringen, rechtfertigen könne, zu verneinen. Denn in diesem Fall betreffen die journalistischen Berichte einen privatrechtlichen Streit, an dem nur zwei Privatpersonen beteiligt sind, sondern es fehlt auch an den evidenten und überwiegenden öffentlichen Interessen. Deswegen ist der Schutzwürdigkeit der Presse-freiheit weniger Gewicht beizumessen. Keinesfalls ist das tatbestandsmäßige Verhalten der Journalisten mit der Figur der Pressefreiheit zu rechtfertigen21).

Auch im Schauspielerinnenfall sollte die Intensität des Eingriffs in die Pressefreiheit berücksichtigt werden. Offensichtlich handelt es sich in diesem Fall lediglich die Berichte über ein hypothetisches Ereignis, nämlich den vermuteten Drogenkonsum der Partygäste. Der Gegenstand der Berichte spiegelt kein besonderes öffentliches Interessen wider. Daher wird der Kernbereich der Pressefreiheit durch die Sanktionierung der Journalisten, die das Privatleben der Schauspielerin durchleuchten wollten, keineswegs in illegitimer Weise beeinträchtigt22). Sie können daher auch ihr tatbestandsmäßiges Verhalten nicht durch

Verweis auf die Pressefreiheit rechtfertigen.

Im Fall der Statue geht es um ein anderes Grundrecht, und zwar die Meinungsfreiheit des Individuums. Kaum zu leugnen ist, dass der Täter durch die Sachbeschädigung seine 20) Weitere Diskussionen, vgl. z. B. Luís Greco, Was lässt das Bundesverfassungsgericht von der Rechtsgutslehre übrig? Gedanken anlässlich der Inzestentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ZIS 5/2008, S. 234 ff.

21) Ähnliche Meinung, vgl. Heinrich, ZIS 5/2011, S. 426; ders., Künftige Entwicklungen des Medienstrafrechts im Bereich des investigativen Journalismus oder: Dürfen Journalisten mehr?, in: Grundmann et al. (Hrsg.): FS-200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, 2010, S. 1258 ff.; NK-StGB-Kargl, § 201a Rn. 15a.

22) Die Diskussionen zur Frage, ob das Privatleben der „Schauspielerin“ weniger schutzwürdig ist, vgl.

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politische Meinung zu äußern beabsichtigte. Es gibt auch keine sonstigen Rechtfer-tigungsgründe, aufgrund derer sich die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens hätten ausschließen lassen. Das Problem liegt also darin, dass hier der Freiheit der politischen Meinungsäußerung mehr Gewicht als dem Schutz des Eigentums beigemessen werden müsste. Meines Erachtens kann man in diesem Fall jedoch nicht das Grundrecht der freien Meinungsäußerung als Rechtfertigungsgrund anführen. Denn wenn auch die Sachbe-schädigung ein geeignetes Mittel zur Äußerung der eigenen politischen Meinung sein mag, fehlt es an der Erforderlichkeit. Anders formuliert: Es könnte alternative und sogar geeignetere Verhaltensweisen für die Verwirklichung der politischen Meinungsäußerung geben, die auch weniger Schaden an den Rechtsgütern Dritter nach sich ziehen würden. Beispielsweise hätte man diese Statue mit politischen Slogans dekorieren können, ohne dabei ihren Sachwert zu beschädigen. Daher gilt, dass es zur Äußerung der politischen Meinung ein milderes Mittel als die Sachbeschädigung gegeben hätte und diese daher keine erforderliche Verhaltensweise zur Realisierung dieses Grundrechtes darstellte. Ein solches Verhalten ist nicht unter Berufung auf ein Grundrecht zu rechtfertigen.

參考文獻

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