Veröffentlichungen des
lnstituts
für
deutscheKultur
und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität
München (IKGS) Band 137ENIKÖ
OACZ
/
CHRtSTtNA ROSS|
(HGC,)
Wendemanöver
Herausgegeben von
Florian Kührer-Wielach und Konrad Gündisch
Beiträge
zum Werk
Rlchard Wagners
Mit literarischen Texten von Felicitas Hoppe, Johann Lippet und Richard Wagner
Verlag Friedrich
Pustet
lnhalt
Einleitung
Gefördert von
m
Die Beauftragte der Bundesregierungfür Kultur und Medien
ENIKÖ DÄIZ,
CHRISTINA ROSSI CHRISTINA ROSSI
Vorwort
Ein Vermächtnis an die Literaturwissenschaft.
Das Archiv Richard Wagners als
Erinnerungs-gut und Erinnerungsort
9
r3
I nterpretationsan sätze
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichret diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über hffp://dnb.dnb.de abrufbar.
ANDREAS KONHEISNER
ROBERT ELEKES
IHRISTINA ROSSI
DOMINIK ZINK
BEATE PETRA KORY
MARKUS FISTHER
Äcrurs srMoN-szABö
MONIKA LEIPELT-TSAI
BRIGID HAINES
IOANA TRACIUN
In aller Kürze. Zur Kürzestprosa Richard Wagners
,,Die Archäologie der Person".
RichardWagners Hotel Califomia
r
und2
. . ..,
37 Wahrnehmung, Verfremdung, Erkenntnis.Rezeptionsästhetische Perspektiven auf das
ProsawerkRichardWagners ...53
Wozu Erinnern? Die Frage nach dem Zweck von Erinnerung in RichardWagners
Hab-seligkeitenund Herta Midrllers Atemschaukel . . .
.
69Vergangenheitsflucht und Identität dreifach
gespiegelt in Richard Wagners Roman
MissBukarest
...97
Heimat, Grenzen, Narrenfreiheit. Richard
Wagners Erkundungen der deutschen Seele .
.
r r3Die Habsburg-Bibliothek als mythischer
Erinnerungsort .
.
r27Sprünge, Störungen, Stigma. Richard Wagners
RomanHerParhinson
...
r+rRichard Wagners Herr Parkinson.
Die literarische Begegnung mit der eigenen
Krankheit im internationalen
Vergleich
16r,,Jedes Wort ist zweiMal in der Welt.
Jeder Begriff." Krankheit als Spracherfahrung in
Richard Wagners Prosawerk Herr Parkinson .
.
r7i
ISBN 978-3-7 gr7 -3oz t-g
@ zorS byVerlag Friedrich Pustet, Regensburg
Reihen-/Umschlaggestaltung und Layout: Martin Veicht, Regensburg Umschlagmotiv: Fotolia @G)
Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in Germany zor8
Diese Publikation ist auch als eBook erhäldich: eISBN 978- 3 - 7 91 7 -7 z n -g (pdf)
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INHALT
,,Der schreibende Kavalier". Literarische Spiegelungen
FELIIITAS HOPPE J0HANN LIPPET
Sechs Wochen mit Richard Wagner
ich könnte meinen kopf zum museum erklären oder
Richard Wagner in Selbstzeugnissen
Neue Gedichte . . r87 RITHARD WACNER
r9r
r97Einleitung
Autorenverzeichnis 203 6Äcrues srNltoN-sznaö
Der Zensor aber ist in einer anderen Lage als der Autor. Während dieser sich
vom Ergebnis der eigenen Denkkunst berauschen lässt, gerät der Zensor ange-sichts der Wirkung des Worts in einen Taumel, dem er nicht gewachsen ist. Er
kann sich aus seiner misslichen Lage nur befreien, wenn er nach dem Stift greift, nach dem Rotstift des Zensors, und das mächtige Wort vom Platz
ver-weist und dabei melancholisch wird. Oder er appelliert noch rechtzeitig an die eigene Vernunft und streicht, was zu streichen ist, und das, was er gestrichen
hat, hebt er auf, für seinen wie er sagt, persönlichen Zweck
In beiden Fällen ist er ein Verlorener, einer von denen, die im Biedermeier
ausharren, und dem Fin de Si6cle entgegensehen, obwohl sie über sein
Bevor-stehen auch nicht mehr wissen als die Schriftsteller, bei denen sie streichen, der Melancholie wegen oder aus Vernunft, wer kann das schon sagen?+z
Damit wird das Geftihl geweckt, als ob nichr nur die Welt der Habsburger
verloren
Srg.,
sondern als würde auch jeder, der mit den Werken aus dieserZeitzu
tun hat, einen Identitätsverlust erleiden. Das ist aber nicht oder nur sehr beschränkt der Fall.Der Zensor streicht in diesem Werk, da er etwas von dem Werk retten will. Er streicht entweder melancholisch oder vernünftig, und das Gestrichene
will
er ftir seinen persönlichen Zweck aufheben. Das Streichen ist aber ganzHareine rettende Geste, da Worte mächtige Instmmente sind, und da die Meta-phorik der Memoria freilich Ansprüche auch ,,auf Macht, Besitz,
Abstam-mung" hat.a8 So stellt sich die Frage, ob der Autor und der Zensor in der Tät zwei verschiedene Personen sind. Der Autor, der berauschte Besitzer ,,der
eigenen Denkkunst",ae ist im bestimmten Sinne auch ein Zensor Habsburgs:
Während er sich nicht ganz berauschen lässt, übt er Selbstzensur im
Schreib-prozess. Die Selbstzensur passt gut zum Erinnerungskonzept, da das erinnerte Ganze zwangsläufig ltickenhaft bleibt. Berauschen lässt sich nun aber der
Leser, der gerne den so feinsinnigen Nuancen der Erzählerstimme im Erinne-rungswerk nachhorcht, die durch die Band Phönix gesungen,
von
Zikeligedruckt, in Prag gebacken oder rumänisch von Wayne gespielt wurden, und
dadurch wird er ein Gewinner der Lektüre.
47 Ebenda.
48 Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen
Gedächt-nisses. München 1999, S. 343. 49 Wagner: Habsburg, S.66.
r40
Sprünge, Störung€tr, Stigma
Richard
Wagners
Roman
HerrPorkinson
MONIKA LEIPELT-TSAI
Der Schriftsteller Richard Wagner hat in seinem Roman Hery Parkinsun
zor|
explizit die Krankheit Parkinson zum thematischen Hauptgegensrand einer literarischen Erzählung gemacht.' Identitätsfragen verhandelte er schon zuvor,
so unter
anderemin
einem seiner bekanntesten Romane, Habseligkeiten(zoo4).'
wenn
einer seiner Beweggrtinde zur literarischen Auseinanderset-zung mit dieser Problematik die eigene Erkrankung war,3 so ist sein Romanzugleich ein Verweis auf den demografischen Wandel, zumal das Parkinson-slmdrom weltweit die zweithäufigste degenerative Erlirankung des Nervensys-tems nach Alzheimer ist.a Der Täbubruch im deutschsprachigen Kulturkreis
durch Wagners Roman ist wichtig, weil er das Thema im literarischen Diskurs erstrnals direkt in zahlreichen Facetten anspricht. Im Folgenden werden diese
Fragen eröffnet:
Wer
berührte bereits das Themaim
deutschsprachigenliterarischen Diskurs? Auf welche spezifische Weise wird
in
Hery Parkinson Morbus Parkinson thematisiert? Welche Schreibverfahren und rhetorischenMittel
zwischen Autobiografie und Fiktion verwendet Wagner, um die Pro-blematik der Parkinsonerkrankung zu illustrieren?Wagners Narrativ über die Parkinsonerkrankung fungiert anders als die
Erzählungen zum Thema Alterskrankheit
in
den bekannteren Romanen der Gegenwart.s Seine Perspektive ist nicht die des von außen Betrachtenden, der1
Richard Wagner: Herr Parkinson. München zor5.2
Ders.: Habseligkeiten. Berlin zoro.3
Wagners Parkinsonerkrankung wurde zoo3 diagnostiziert, vgl. Christina Rossi: Einftihrungin Leben und Werk Richard Wagners. In: Richard Wagner, Christina Rossi: Poetologik. Der Schriftsteller Richard Wagner im Gespräch. Klagenfurt zor7, S. rr-16, hier: S. 15.
a
YgJ- u. a. den Blog ,,Parkinson's disease autoirnmunity." In: Neuroscientifically challenged, 27.4.2ot4, <https://wwwneuroscientificallychallenged.com,/blog/parkinsons-disease-auto immunity>, ro.3.zor8.5
Wie z. B. Amo Geiger: Der alte König in seinem Exil. München zor r; oder Tilman Jens:Demenz. Abschied von meinem Vater. München zoro.
MONII(A LEIPELT TSAI
clic (]eschichte der Alterskrankheit dcs Vaters
im
Rückblick erz:ihlt. Der RotnanIIerr
Ptrkitr.roii liefert auch keinen clokumentierenclenErfahmnq's-bericht. Mehnehr fällt dcr ,,schonungslose innere Monolog eines durch die Einu'irkungerl von Krankheit uncl Medil,al-nentcn physisch uncl ps)'chisch
clerangierten"/' erzrihlentler-r Ich hrjchst poetisch
in
ein cxzcssives L..lrnerltoüber clas Leben rnit cler schwcrcn neurologischen Erkr.rurkung.T Jm fblgenrlen Beitrag soll deshalb nach Antnerkuugerr zum Begriff,,Piirkinson" iinhancl eini-ger P'.rssagen '.rus
llcil
Ptrkinson exemplarisch entfältet u,erclen, mit wclchenMitteln \Ä/agners literiirischc Darstellung clas Problcm der
Parkinsonkrank-heit z.ur Sprache bringt, eine glt.tz neual'tip'e Perspcktive schrflt nncl clen sozi-alcn Urng:rng' nrit r-reuroiogisch Erkrrrnkten als A.ncleren in Frage stellt.
Das Rätsel Morbus Parl<inson
A4orbus Pirrkinson als neurodcgenerati\re Erkranlnng
mit
chronischfort-schreitenclem \/erlauf
ist
nicht allein Expertenim
n'reclizinischen Diskurs bekannt. Sie ri,ird auch in allgemeinen Lenke bcschrieben, u,ie zum Beispielin clen r9-5oer-Jahren in Llcnlct's lblkslcrikon: ,,Plrkilrsonsche ßl'ankheit, nach clern crrg'I. A.r'zt Prrrkinson benrrnnte Nenenkrankheit, Schiittclliilltttrttg, rt'tit
Schiittelkrampf, mlslicn:lrtigcm Gesicht, Gangstr)nu.rgen."s
Durch
diesc sylttptottlatischcn E,rscl.reiunngen ist siein
fortgescl-rrittenen Steclienbeson-ders ruftiillig, wes auch clie alte Bezeichnung ,,schiittcllähmune'" incliziert,
incletn cliese tlas l-räufig auflretencle Zittent cler Erkrankten, insllcsonclere das
Zittern cler Hrincle, bei gleichzeitigem Verlust cler motorischen Iiontrollfunk-tion betont. Fls ist eine durch westliche Meclizin bisher nicl'rt heilbare
llrkran-kttttg," dic rnit Firmüclungserscheinungen beginnt, w'elcl-re sich schleichend zu den verschietlensten körperlichen Störungen entwickeln nncl claher schrvierig
nachzur.vcisen sinc1."'Der cnglische Ar'ztJarncs Plrkinson beschrieb
r8r7lls
5 Rossi: Einhihrung in Leben uncl WerL, S. r5.7 Drtnebetr u'irtl tlas Thet.t.tri cler Aufiiisung einer p:rltnerschaftlicher-r Beziehung verarbeiter,
ri,as ln clieser Stelle nicht rveiter vcrfirlgt rvertlcn kiurn.
8 I Icrders \irlksle rikon r\-2. Fleiburg r !)-i+, s. r j: z. Her'orhcbung der Verfasscrin.
9 In tler indischen \.urvedit rvird dre rt,euiger Nebenrvilkuncen versprechenrle, anti-oxiclatir. n'irkentle ,luckltohnc rr.mcunrl prulicns als I{ittel gcgcn ParllnsonisnrLrs verrventlet, dl sie
Set'tttonitr uncl L-l)op:r cnthrilt (vgl. z. B.'Ihrrakan, u. a.: Anti-Prrkinson Botrurical tr,luc11a Pt'rtriens Prcvcnts I-er.oclop;r lncluced Plasmrtl antl Genorric DNr\ Damage.In:
Phj,t,tht-r''r1t.y, I?esturcl: zt (zoo7) FI. r z, S. trz4-rtz6).
10 Die Kr-rrnkheit ruft im lirtihstldiunr Hauwerirnrlerungen (Iionsistenz, DLrft r-rnd Sensibili-tät) hervor. illtn frrnd Bionrirrket'in cler Flaut sou,ie in Proteincn rrus -hrinenrlrtisen (r.gl. ,,TLars nral'ctrntain l biorrarker tirr P:rll.:insonls tliseasc." In: Prittictl Ntttntluel, -f,,L)7,amt'n| Disrttilc4 z:.2.:orli, <httP://practicalneurologl'.c1111r/ncuroloql'rvirc/zotB/oz/zz/tetls-u-rrltr-cortttitr-ir-bionrarkcr-frrr-parkinsons-clisease>, z fi. 3. z o r 13).
r+1
SPRÜNIE, STÖRUNCEN, STICMA
Erster rypischc Symptotrre der Schr.ittellähmung (cng. shaliing palsy) r-urcl
vcr-lnutete cleren Lhs:rche im (]chirn.r' Er sah zuclem eine Vcrbintlungzwischen dem gestörtcu Zustantl des Magens utril I)arrns cler Pltienter.r uncl einen'r Teil
cles Rückenrnarks, war rrber nicht in cler Lage, iliesen Zusammcnh'ang
nrcir-zuweisen.I:
Naclr cler weltweitcn Clrippe-Epirlcmic
in
cler Zeit von r9r7 bis r927, clienach ihrern LTrsprLurgslancl Spanische Clrippe genannt u.urcle, rückte die nachfblgencl irls Pirrkinson'.sche
hlankheit
(dazu siehe unten) bezeichnete Erkrankung in clas Bew'usstsein cincr breiten Oftentlichkeit, dcnn durch chsVirus kirur es
oft
zu schweren Lungenentzünclungen, tlie teihveise rruf die Gehimhaut übergriff'en. Fline \/ielzahl clieser ErkrauLrungen mit zusritzlicherHimbetciligunp; entwickelte als Spättblgc ein,,postenzepl-ralitische[s] Parkin-son-Synclroln".'r
Im
A.nschluss lr,urrlen ,,Üb.r.n.t..-llgaurg-, (Jrippe uncl Kopfue rle tzung'en als Llrsacher.r cle r Krankheit angesehen". ''1 Vcrsuche in cienrg6ocr-Jahrctr, dls Leiden dtrrch Operationen lr-n Gehim zu hcilen, ftihrten
zu eir.rscitigen Lähnunp1en." An cliescrn Lciclen Erkrankte \verden irn
Spät-staclium so hilflos, class sie schlie{ilich, nech cincm
Zitat
des \,\/ürzbtrrgerNeurologcn Professor Schrltenbrrrncl, ,,n,ic cin Holzlilotz gehotren, gefüttcrt, an- und :lusgez()gen u'ercleu lnüssen".t1'
Hcute spricht cler medizit-tische Diskurs clavon, class cin i?.ullfsrln
fbrtschrei-tcn(ler Vcrlust von Nervenzellen im Gchirn eincn cirronischen A,Iangel an clem
Ncr.rmneu-Botenstoff
l)opltnin
erzerlgt. Die gcnauc LTrslche, lvarum clieseNcn'cuzcllen utrtergehen uncl cler F.rkrankte im (lehim aus clern Dopan'rin die giftige Substanz DOPAL biklet,'7 ist jeclocl-r nicirt bekennt. So berichten Neu-ror.vissenschaftler von cler',,clerzeit noch nicht voliständig akzeptielte[n]"'3
Hypothese cles Neuroanatoms Heiko ISrlak, nrlch der bei clcr Parkinsonlscher-r
11 J:rmes Prt'kinson: An llssrv on the Sh:rking- P:rls1' lzuerst als,!ftnographic veriiffentlicht von
Shenvr rotl, Necll', .Jones. Lontk rn r li r 71. In: ' I'h t .'f o tr itt,r / r,l-Nr'u it'1:t1,tl.r itrti'.y Ü Lllin ier I Nt tr
t'us-titittt r4 (zooz) H. z, S.:: j-z:6.
'12 Der'\r'z,tJanresP:rrkinsonbekennt,ersci ,,nnlbletotl'ilccthcconnectionbvrrhichirdisor-deretl stirte of the stornech .rntl borvels nray incluce a mortritl action in l pirrt of the nredulla spinrrlis" (ebend.r).
13 (lcscl-richtliches zur Erkr:rnkr.rnu P:rrkinson. l)eutsche Prrkinson-\,'ereinigr.rng e.\4, <https://s'rvrv.y)itrki11s()n-\'ereinigung.de/die-kr':tnkheit>,4.-1.2or8.
14 Schiittell:ihnmng. (ie fiorcncs im (]ehirn. hr: Dr;-S2lc.q,'/, z-5. Juli rgfi:.
15 Vgl. ebench.
i6 Ebend.r.
17 Sclrättellähluung. liorscher: {intlen Parkinson-Auslirser. 1''ora.r Onlint, t,r. ()ktobel zoo7, <https://rvxrv. fircus. cle/gesuntlheit/r"ltgeber/geh irn/ne*'slschuettell'leh nrung_aitl_ r 3 76 tlo.
htrnl>, z.j.zor13.
iB Ulrich Dirnaql,Jochen Ä'Iüllcr: Ich glrrub, nrich trifft dcr Schl.rg. \\'as d.rs (iehirn rut, riirs
es tun soll, oclel nr:rnchnr'.rl auch nicht. lliinchen :or6, S. 213.
MONII(A LEIPELTISAi SPRÜNIE.
STÖRUNCEN, 5TIIMA
Iirankhcit zu Bcginr.r in den Nervenzcllkemen unter rindercrn ,,Leu'y-lir)rper-chen" zu finclcn sir.rcl, clie ,,Lurter noch nicl-rt recht verstirndencn Beclingr,rngen"
ihrc Strulitur verändern nnrl
lls
falsch gefiltete Protcinverklumpr,rngen eine (Zer-)Störung clcr Zellen vcmrsachen.") Sie l'.rsser.r sich demnach bereits vclrclern offensichtlichcn Auftrcten vrur typiscl.rer"r Parkinsons)/nlptonen inr zentrl-lcu Nervctrsysteür aln Ült.tg.t.tg zrvischcn llückenrlark uncl Gehim r.vie auch
irn Mrrgen-Dlrn'r--lrakt {indctt,"'von \\'o sic sich iitrer Nervcnfortsritze lusbrei-tct.t.'' \'Vihrcncl
lioflcin"
son'icNikotin'r
einer Erkrlnkung entgeg'cnwirkeir sollen, sind-
urit Äusnahrne von genetischen Vrrerklankungen-
neben poly-chlorierter.r Biphenylcn (PCB, d. h. g'iftigc orgar.riscl.re Chlorverbinclungen) vorallcr.r.r Pcstizicle,'+
fli.
in der Lanclu'irtschnfi als Nervengift g'cgeu h-rsektenein-gcsctzt r.verdctr, eiuc u,ahrscheinliche Ursache cliescr degenerierren Nervenzcl-lcn,'i Tntt't't1 über dic Naser"rhöhlc Giftstoffe rurn.rittelb..rr zu clen Geruchsnen'cr.r dlingen köntten."' D<lch lnclers als in Frankreich schcir.rt rlie \Ä/ahrnehrrung
eines solchctt Zusaurtnenhrrngs in I)eutschlanc'l politisch nicht geu,ollt zu scin. r\uch auf tler aktucllen \4rebseite cler I)eutscher.r Prrkinson-\,.ercinigung e
.V
19 Ebendr, S. ::8.
20 Dcr'\ltgusucrr':rls 1lt'inrrircr \\/eg, dcn tlie l)rrrrnlraktericn nutzeu, nnr Lrfrrrrnrrtiolcn urit tlcttt rttettschlichen (]ehirn lluszrrtinrschcn, spiclt tlabci einc l{olle (vsl. ;\lesantlcr..foppich: Prrrkirrstrtt bcginnt rniiglichclucisc inr IIrr!rn. .i,':tt Ztitttitu ()illiitt,9.-[uni :or7, <hiips://
q-rl'u'. itcLztezeittr ng. < le/tne rlizi n/krrr n kh c itcn/r.re u ro-psl.ch irr tlische_krrr nkhe itel/n6r'b1s_
llrtlkillsott/article/r; j75ogltlrrnl-hirtr-prtlkinson-bcginnt-n6eulichelu,cise-nagen.Itnl>,
,;..3. zo r ll).
21 \jgl.Diln.rgl, tr{üller': Ich elaub, nrich tr.iftt tler Schlau, S. : jo.
22 \/gl. (]. \\i I{oss, IL Petrovitch: Currcnt li,idcncc firl Neuroprotective Eflects of Nicotile
antl CrffcincrrcilinstP.rrkinson'.sDiscirsc. In:I)i.rr.q.r üApiila rtl(zoor)II. rr,S.797 8o6. 23 Nachtsch'.rttcngeu,iichse sollen tlurch ihren Nikoting.ch.llt vor tler P:rrkir.rsoncr-krankung
schritzen (r'gl. trIich.rcl (ircger: Peppcls & Irarkinson'.s: 'l'he Bcncfits of Snroliing u'ith,,ut
thcl{isks?In:l'rrtt'stiitClinit'rlNtttt'itir;,a,Vol.3o,r.5.Aplil :or6,<https://nutritronficts.orq/
I'itleo/peppers-rrtrtl-pitrkinsotrs-the-bencfits-of-srnoking-u'ithout-the-risks/>,9.j.:orll).
24 Ilci tlcr' ()bcluktion von rur Parkinson erkr:rnkten Vcrstoll)cnell ryurclen (lchirnsch:iclcn tlurch einc crhiihte ,\nl-rriuhrns von polychloricrtcn Iiiphcnl,len uefun(len (,g1..f . I'1. Il.jt-cl.rcr-I{lltirt n. ir.: Association bctrveen [)oh,gh1,,r.it1.,,.tl biphcnl,ls antl P:rr.kinsinls ucur.oPrt-tl-rtrl<rgr,.7n'. \ittrt'ut,trit,t/,r.qy to (:otz) H.S, S. r:gli-rjo4); z.B. Milchllr.6tluktc ki)nrie1 tlrri'on Riickstrincle cnth.tlten. Poh'ghl,)r1..,. Biphenvle rvurden z. B. rrrn Blver. bz,rv. ,\4on-silnto in Procluktcn u'ie .,r\toclor" r'eru'enclct, rvelchc, ollu,oh] sic verllotetr s,nr.tlen, einntal
etrtlt-sscrt tlie Urns'elt iurtncr rtoch verseuchen ('ul. Polvchlorierte Biphenl,lc. Lr: \Ärikipe-tlia [)eutsch, <https://tle.rvikipctlia.ors/u.iki/Poll'chloricrtc Biphenyle>, zor8.).
25 \/gl. u. a. Irestizitle rn tler {,tndu'irtsch.rft: P:rrkinson gilt in Fr:rnklerch als Bcrufskrrrnkheit.
I'hcus ,'itlin,', r r. tr'hi :oI z, <l-rttps://r'u,u'.fircr.rs.rle/gcsunrlheit/r.ltg-eber/gchirn/nols/pesti-z-rtlc-irt-der'-lerttlrvirtstrhrtft-{:renkreich-hrlligt-prtrl,inson-.rls beruf.skrrrnl,heit_rritl_75r j3:. htnrl>, ll.z.zotli.
25 \rul.\\'rrt'urttPrrrkiusonkr',tnkcschlechtricchen. In'-iil.r,
Ztittrng,,ttliit,,<hrrps://rvu'ri'.aerz-tczei tung. de/rnetlt zi n/kltnkhciten/neur.o-pst,ch irr tr.ische_kr:rn kh ei ten/nrorltus_parkinson/
erticle/9444j7/studic-Iiefert-erlilaer.uus-prrrkinson-kr:rnkc-schIecht-rieclien.htrnI>,
zll.3.zorfl.
r44
hcilJt es: ,,IIeltte hrrbeu u'ir es vor\rrie€lencl nrit clcm idiopethischen
Prrrkinsol-S)'uclrotu ztl tun, d'.is heiflt, class sich clie chrrrakteristischcn Symptonrc ohr.re
Volerklanlittug curq,ickcln."'7 Die isolicrencle Pcrspektivc einer (r,errncintlich)
fchlenden Vorcrla'ankung scheint
in
clieser l,'ormulierunglnf
cinerr Staruslllstatt eincs fbrtscl.rreiteutlen Proz.csscs hriert untl blcnclet einc inclir.icluell dif-f'ercnte Atiol<lgie uncl m0gliche Akkumrilatirin von'lbxir.ren aus, r.r.ie sic schon \()n Jrtntes Plrkinson tnq-e5p1's;qhs1t \\rur(lelt (sichc o|e1).
I)ie
Entstcl-1r1p1s-seschichte cler Parkinsonerh'ankung bleibt demnach rätsclhaft, urld ein grlnz-heitlicher Zusaurtnenhrrlg \i'ircl nicht gcsehen. So mrrliiert cine übergreifende
I{ontingenz dic Erzrihlungen ütrer diese E,rkrar"rliturg.
Sprünge und Taumeln
Die Parkir-rsonlsche lirankheit \\'urde voln franz()siscl-icn Neurolog-en
-Jcrrn-Martin Chalcot nach delr Namcn ihrcs l:lntclcckers benrrnnt unil rvild ..rls
rill-gemein bekannt (siche oben) betrachtet.'8
In
clcr Gerlcinsprachc r.vird siehentzutiige
vor
allem vcrkürztmit
den-l Nrrmcr.r ,,P:rrkinson" bczeicl-rnct. Richarcl \Ä4r;1ncr geht nunlller
eincn Schritt rveiter, wenn cr clen Titel seines Il"trtt-trtnsHtn'
Purkitn(,/i llcnnt.ln
clcr metrphorischen Ausgestrrltung erfolct cin Perspektirnvcchsel zrlr rhetorischen Figur clcr personilicatio, einer,,Rerili-sielungs-Variante cler Allegclrie",'" wclche clen rbstrakten Begriff cler
Parkir"r-soncrlirankrurg- (irn Flrsrrz- dr.rrch cin Ahnlichlicitsverhrjltnis) .ruf eine recler.rcle uncl lrarrilelnde Pcrson verschicl)t. NIit rlem R<tmiurtitel
LItrr
Ptu'kinrori u,irtlzum einelr tler E,rstbeschrciber lnit Nrunell rurg'esprocirell, \r.elchet inr mcrlizi-trischet.r Diskurs cponylliisch
in
Verbinclung rnit clcn.r lateinischen \4/ort für,,lilrnkheit",
,,rnorbrls", clen Facl-rbcgrifftiir
die Erhrlnliullg crzeugt. Ztnt
irtrtlelcn u'ircl ruit dieser Ilhctorik die lir'.rnkheit selbst persontfiziert, dem iru Lauf'e cler l,lrzühlung tuch dic Figul des,,IIerrn Pr'rrkinson" entspricht. So
I'reißt cs irn ersten der vier'
'ltilc
cles Rcirn.ans:E,ine I.'r'ankheit ist eine Fallcnstcllerin. 1)ie I.,r'lnkhcit Prrrkinson
hlt
.r'ielcÄ{öglichkeitcn, einen in clie lralle zu locken, hijre ich nrich sirgen. [...] Die Plr-kiusrin-l{r'rrnkheit I'rat zrvrrr keincr.r erkennbaren i)lan,..rber eir.r Prinzip. [...] u'o
dcr Plrkirrsou Flerr tlcr Lrtge ist, hat clcr Erkr"anktc nicht mehr viel zn sagcr-r.r"
27 l.bcntla.
28 Christophcr G. (loetz: Thc IJistorv of Palkinsonls Disc:rsc: l}r'lv Clinic.;rl Descliptions anrl
Nerrrrrltrgicill -I'herapies. In: Coll Spritty, IIuil,ur Ptrslttctit'rs in ,\lclitittt r (:or r) II. r, S. r-r5.
29 Ilcinlich l,:nrsbelg: Elenrentc tlcl Iitclarischcn Rhetolik. ÄILinchcn r979, S. r4o. 30 \l/ag;ner: I Icr-r Plrliinson. S. :4.
MONII(A LEIPELT-TSAI
Diese Passage veranschaulicht, rvie Krankheit in Wagners Tbxt personifiziert wircl: Sie wird als solche zuerst als feminin klassifiziert (,,eine
Fallenstelle-rin"),
clie Parkinsonkrlnkl-reitim
Besoncleren hingegen wircl als ,,I-Ierr derLage" hierarchisch pclsitioniert und n-rit maskulinern Genus versehen. Die
Fr-urktion clieser Cleschlechterznweisnng dient unter anclerent der
Ltszenie-rung eines Maskenspiels
urit
clem erzählenclenIch,l'
da eine Entstellung durch Parkinsonismus clen Gesichtsausdmck,,maskenartig" wirken lässt.r'Die Beschreibung cler lVahrnehmungsvorgänge durch Angaben wie ,,höre
ich mich sirgen" uncl ,,Ich hörte mich sprechen" impliziert eine Entfernung
der Position cles erzrihlenclen Icl-r von sich selbst,r3 was dessen Gespaltenheit
anzndetiten scheiut. Zntlern u,ird hier ein dominanter
Ztg
rles Romans cleut-lich, rvenn an-rbigntit
ciner deutschen Redewenclung gespielt rvird:In
derForrnulierung,,hat
[...]
nicht rnehrviel
zu sagen" wird:rngedeutet, dassjemancl aufgrund einer bestin-rmten Stellung kein Rccht hat, Anorclnungen zu geben.ra l)emnaci-r r,vird die Figur,,der Erklankte" als unterworf'en bzw. sr-rbaltcrn charnkterisiert, dr sie trotz cler Planlosigkeit cler Llankheit (,,liei-nen [...J Plan";t-s unter deren Vorherrschaft leicleu rnuss. Zugleich wircl clamit rafhniert ar.rf clen Verlust der Sprechf:ihigkeit angespielt, clenn ein
ln
Pirrkinson Erklankterist im
fortgeschrittenen Stacliurn Sirrechstörungen(Dysphonieu) aus{esetzt und schließlich nicht rnehr in cler Lagc, Wcrrte
:rus-zusprechen. Durch clie ungewöl-rnliche Verwcnclung dcr Rcclewendung wird
eine perfonnirtive Sprachkritik cleutlich, wcnn so clie gcnerelie Mehrdeutig-lieit vou Tiopen und icliomatischen Wendungen problernirtisiert u'ird. Das für Wagner typische poetische Spiel verweist clurch den Wiclerstand gegen
eine Vereinheitlichung von Sinn auf die prinzipielle Polysemie cler
sprach-lichen Signifikanten.rd
31 Die komplexe \/erscht'änkung des Maskenspiels in Hcrr Pti'kinsott rvirtl in einer.n u'cirerelr Auf.srtz verfolgt.
32 \rgl. Herders Volkslexikon. 33 lVagner: Herr Parkinson, S. ,52.
:+ Vgl. Duclerr. Redervenclungen. \4/tirterbuch clcr rlcutschen Itliomatik. Del grolle Dutlen. Btl. r r. \41ien, Zürich zooll, S. 64j.
35 lVagner: Flerr Parkir-rst.rn, S. 24.
35 Rerlervenclunsert finrlen sich häufig
it
Hcrr Ptrrkinstttt (r.gl. ebentla, S. 9, S. : j, S. jll, S.49,S. S+, S. 7z und S. 76). Bereits früh nutzte Wagner das Spicl nrit Retlerventlungcn in litcm-t'ischeu'lexten, z. B. im Gedicht Iühft vt>n r9tl7 (vgl. Richard \4/asner: Die \4/ieclerholunu cler Phantasic [Erstvcriiftentlichung in: Lllrich Janetz-ki, \44rlfgeng Rrth (Hgg.): JLntlenz Freisprache.'llrte zn einer Poetik der:rchtzig;er,Jlhre. Frankfurt arn Main rg9z, S. tr4.zt9l. Iu: \\/agner, Rossi: Poctokrgik, S. rz5 rzfl, hicr: S. rz5.
r+6
SPRÜNCE, STÖRUNCEN, STIIMA
Eine Asthetik des Hässlichen. l(örper und Tabu
\Ä/agr-rer hat
mit
seiner prominenten Forrnulierungim
Titel
ur-rcl n.rit cler gleicl-rnan-rigen fiktiven Figur inHur
Pn'kiu.roa als crster (las Tirbu gebrochen, wclches irlr cleutschsprachigen literarischen Diskurs rruf cler -lhem..r tisicrungclcr Parkir-rson'schen hr':rnkheit lag. Zwar konnte man in clcn letzten Jahren
beobachteu, dass itnmer urehr cleutschsprachige Rorlaue zur vonnals tabui-sierten Thcrnatik der Altersclelnenz publiziert wcrclen,rT uachclem die Alz-heimerproblenutik
in
clen Meclien häufiger thenratisiert r.vlrrcle.lsIn
clerdeutschsprachigcn Gegenwartsliteratur u'urcle jedoch clas Thema tles Morbus
Parkinson trotz seitres Bekanntheitsgr:rcies bisher äulJerst seltcn irngesplochen.
So schreibt Miriam Seidler:
In cler rlcutschsprrrcl.rigen Literirtur sincl n.rir bis auf l4artin \\/alsers l{ornar.r
Dr'
LcbcnsltrrJ'lct' Li,:|,,: keine Parkinsrxrdarstellungen bekannt. Auch rlas l,exikon LitL,rutilrtnl
fuIcli:in eltthält keinen Artikcl zu Morbus Parkinsolr..i',I)etnnach rvurde clie
hllnkheit
Morbus Parkinson zuvor so gut wie nicht von deutschsprachigen Autoren literrrrisch verhandelt.Dcr
Schriftsteller Martiu Walser hatin
seinem umfängreichen Ntersrornan Dcr Lebcnshuf' tler Licl,c (zoor) über Varianten \/on Liebe in cler Neben{igur des crfolgreicher-rWirt-schaftsenwalts uatnens Eduruncl Gern die Parkinsoncrlilankung thenr:rtisch
verarbeitet.
In
Walsers heterocliegetischem N:rrrativu'irrl
unter anderenr ciavon erzählt, wie seine alternde Gattin, clie Prot:rgonistin Susi, ihren ent-f}emdeten Eircrnann pilegt, obrvohl er sie schon lange nicht mchr liebt undzudem mehrere Cleliebte wie anch Prostituierte besucht. In ciner Abwärtsspi-rrrie dieser Erzählung clurchlär.rft clel Gatte tmnsitorisch die Einbu{Je seiner
zirvor jugencllichen Attraktivitrit uucl muss grolle finanzielle Verluste sorvie
degenericrcncle, körperliche Veränclelungen hinnehmen. Doch das
Fort-schreiten seiner Parkinsonerkrankung ftihrt zu einem langsarnen liörpcrlichen und seelischen Verfall, welcher seiner obsessiv irusschq'eifenden Sexualität entgegenstcht:
Ednrund jctzt: Das rvichtigste n.rit der lidelnutte sei tlas Gespr:ich. fSusi dcnkt:] Vrn clem cr aufstcl.rt und einen nassen Flecken hinterläßt oder rviel Susi fa{lt es
37 Siehe tlazu u. a. Rrhel River,r Goclot,-Benesch: Ir.ompttss zur iUtersbelletlistrk der Gcgcn-u'ert. Tiencls, Anah,'5sq1, Interpretationen. Zürich zor5.
3B \/gl. Irmcl:r Ä4.rrci Islüger-Fürhoft: Narrating the Limits of Narntior.r. In: Aagje Su'innen, Mark Schrvcd:r (FIgg.): Popularizing Derncnti,r. Public Erpressions ancl Represent:rtiorrs of
For-getfulness. Bielefeld zor5, S. Bg roll, hier: S. lig.
39 l{iriam Seidler: FigLrrcnnioclelle des r\lters in tler tler.rtschsprechigen Ciegenlvartsliter2rtur. Tiibinsen zoro, S. j116.
MONIKA LEIPELT-TSAI
nicht. Dieser quieschnasse Mann. Der riecht doch. Nein, der stinkt. [...] Daß
er imstande war mit dieser [...] Merunddreißigjährigen vor die Rezeption des
Hotels zu treten und sich den Schlüssel für die bestellte Suite geben zu lassen
[...] Und jetzt Parkinsonist.+o
Walsers Text thematisiert die Inkontinenz des an Parkinson Erkrankten und nutzt
in
diesem Exzerpt einmalig den neologistischen Terminus,,Parkinso-nist", welcher durch das Suffix ,,-ist" einen negativen Anklang erhält. Er zeigt einen Angriffauf Darstellungskonventionen, wie sie in der Literaturgeschichte durch poetische Tladitionen geprägt wurden, wenn Edmund als allein vom
Begehren nach Sex beherrscht dargestellt wird. Schließlich muss sich dieser jedoch auf das Anschauen von Pornofilmen beschränken. Seidler liest das
Krankheitsmotiv des Edmund im konlreten wie auch metaphorischen Sinn+' und verweist auf dessen ,,Festhalten an seinen amourösen Beziehungen",+,
welcher
Zige
des literarischen Topos der lächerlichen Figur des verliebten Alten trage, der keine Altersidentität entrvickelt. Walsers Text berührt dabei eine ,,ästhetische Schamschwelle",+r wenn die Unsauberkeit der Figur die Pro-tagonistin anekelt (,,könntest du nicht wenigstens die[...]
nassen Windeln,statt sie einfach liegen zu lassen, in die [...] fütchen stopfen").+ Diese
Verlet-zung des ästhetischen Täbus im literarischen Text durch Beschreibungen der
,,niederen Körpersäfte, IJrin und Schleim"+s scheinr mit Bezug auf die mittel-alterliche Säftelehre eine Schuld oder Mitschuld der Figur Edmund an ihrem Verfallszustand zu indizieren und stellt seinen Lebensentwurf
in
Frage.+6Demnach könnten Vorstellungen vom entsexualisierten Altern die Lesenden
dazu bringen, die Parkinson'sche Erkrankung als ,,Hinweis auf die
Sündhaftig-keit seines Lebens" zu lesen.47
In Wagners Herr Parkin"ron wird hingegen eine neue Perspektive gezeigq, indem statt von einem auktorialen Erzähler nun rron einem erzählenden Ich berichtet wird, welches homodiegetisch selbst
in
der Erzählung aufiritt undpersönlich von der Parkinson'schen Krankheit betroffen ist.
Mit
dieser Figur spielt Wagner direkt auf seine eigene Lebensgeschichte an, zugleich wird40 Martin Walser: Der Lebenslauf der Liebe. Frankfurt am Main zo16, S. zrzf.
41 Vgl. Seidler: Figurenmodelle des Alters, S. 394.
42 Ebenda, S.399.
43 tllrich Stock Ich war Walsers Susi. Aufgeschreck vom Tod eines Kritikers verlässt eine
RomanfigurihrenTextundfindeteigeneWorte,Inl.DIEZEIT,r3.Juni zooz,<htrpt/lwww. zeitde/ zooz/ z5llch-war_Walsers_Susi>, 7.1,2or8.
44 Walser: Der Lebenslauf der Liebe, S. zr3. 45 Seidler: Figurenmodelle desAlters, S. 395. aE Vgl. ebenda, S.396.
47 Ebenda.
r48
5PRÜN6E, 5TÖRUNGEN, STIGMA
jedoch bereits
im
Prolog deutlich, dass keine Deckungsgleichheit (,,nichtg
rrz") zwischen der Identität des Icherzählers und des Autors besteht.+8 Wie auch oft bei Walser wird dabei von Wagner der innere Konfl.ikt stärker als die Handlung betont, \üenn der um sich selbst kreisende Erkrankte am Ende zuscheitern scheint. Das sexuelle Begehren des Erkranken wird ebenso
ange-sprochen, doch auf ganz andere Weise als bei Walser. Als das erzählende Ich beim vormittäglichen Flanieren
in
einem Gewerbegebiet von einer jungen Frau Hilfe angeboten bekommt, heißt es:Meine Beine sprangen in alle Richtungen, als ich mit ihr sprach. Aber war ich
deshalb bereits ein Endaufener, ein davongerannter Perverser, ein Lolita-Arschlecker [...]?
Ich habe Parkinson, rief ich mit meiner brüchig gewordenen Stimme ['..] und bin impotent, oder werde es demnächst sein. [...]
Schützt eure missratenen ftichter vor mir, [.. .] schützt sie vor meiner
Medika-tion, vor den Lufisprängen meiner Täbletten.+c
Die Deplatzierung des Flaneurs in einem Gewerbegebiet korrespondiert hier treffend mit der Ver-Ortung der Beinbewegungen. Das unmögliche Springen
der Beine des erkrankten erzählenden Ich ,,in alle Richtungen" als eine
Stö-rung des Bewegungsablaufs verweist darauf, dass Wagners Narrativ keine
rea-litätsnahe Wiedergabe der menschlichen Wahrnehmung verspricht; Friedmar Apel hat bereits darauf verwiesen, dass Wagner ,,[d]ie Symptome selbst, wie
das ,Slmdrom der ruhelosen Beine',
[...]
mit denMitteln
des Surrealismus('beschreibt.so Vielmehr erfolgt hier neben der narrativen Darstellung von (anfangs) unspezifischen Symptomen der gestörten
Nervenbahnübertragun-gen des erzählenden Ich im fragmentarisierten Körperbild eine
Infragestel-lung der Einheit und Eindeutigkeit der menschlichen Perzeption. Dabei bleibt unklar, ob die Brüchigkeit der Stimme auf eine Geilheit,s' eine körperliche Erschöpfirng oder auf die beginnenden Sprechstörungen zurückzuführen ist.
Die Aktion der ,,Luftsprünge"
-
im Text metonymisch auf die Täblettenver-schoben
-
zeigt an, dass das Begehren nach sexuellerLust
mit
fremden,,Ttichter[n]" (bald) nicht mehr ausgelebt werden kann und ediche
Bewegun-gen nur in die ,,Luft" und damit ins Leere gehen. Der Effekt der Lächerlich-keit dieser Aktion beim Anblick einer jungen Frau
wird
in
Differenz zur48 Wagner: Herr Parkinson, S. 5.
49 Ebenda, S.56.
50 Friedmar Apel: Krankheit als Allegorie. Richard Wagner spricht mit Herrn Parkinson. In: Frankfurter Allganeine Zeiang, z. Juli zor 5.
51 Wagner: Herr Parkinson, S. 56.
MONII(A LEIPELT-TSAI
irrrrresptrntliercnclen Iiigur in \,\/alscrs De r Lebe ttsLrtj'ltrr Licltc rrber rlurch dic Srtzzeicheusetz,uitg
in
Frlge gcstellt, *.enn die liig'ur nrich clem surrerrlver-fi'emtlcten IIcrutntaumeln clie entchrenclcn Schinrpfworte
luf
sich bezicht.j,Diese Injr"rriett lirrtegorisiercu rlrrs erziihlcnclc lch :rls eine r,on ciner velureint-lich vorl.rarttlenctr Nortn abu'cichcntlc Pcrson. h.rclenr clcr F.rkranlite verbal
unter rrncleren als ,,Pcn.crser", n'elchcr sehr junge Mliclchen (,,Lrilita") sexueli llegchrt,si li2ltegof isiert rvirrl, linclet eine Abr.r.ertung uncl soziale Ar-rsgrenzung
statt, $'elchc ihn stigmatisicrt. Zuglcich ri'ircl mit clicsen Schnrähungerl
anllt:-tlerttct, dass clie ,\4eclilianrcnte clcr trlditirlnellcn Parliinsontl.rerapic, clas heillt
itrsbesrtudcre tlie I)opanrinagonistcn, einc Scrotonir.r :rnrcgcnrlc, LLrst ve
rstär-kentle \\''irkuns ltesitzeu. Die Niihc von Ä4cclikarncnten zu llatrschnrittchi fin-clct sich ttoch itt clcrcn ehetnaliger Bcnennru.rg als ,,Drr)gen" (u,as hcutzutrrg.c
ztim Beisltiel itt ,,1)rogerie " at.rltlilqt).5+ \Ärag'r1er bezeichlct ipr Gespri.icl-r iibcr
seincn Rtinratt
Ilcrr
Ptriliiu.rori cliesc Innuenclos rru{tclie Serualitrit von anP2rr-liiusotr Flrkranhtctr'Jls ,,g,rnz. ltirtrale
ihspiclulgel",;;
,1,,a1', sie u.irkel incilcr
Ästhetili tles Ilisslichen als ri,icl'rtig'c Enttrbuisiemng'clicses Thcnres. Drls, r.r.asarifgruntl seittcr ,,Ä4eclikatiotr" eintritt, mecht cs clem crzrihlcnclel Ich schrvcr,
itr seittett.t ct'krarrliteu Zustend Realitrit uncl \4/lhn zn clift-ercr.rziercn r.rrrcl zn
vcrsuchen,
tlie Lirsprungshandlung zu fit'rtlen, unr sie r,on clcr li..rntasie ztr trcnlen, i1 dcr
sich der Betlr>flcnc rrls cler uroßc Spielcr: instrllicrt hrt, rnrll als Sextourist, rnal rrls I{irufhauskuntle.
Iil
rvirtl zum \\hhnsinnisen niit lircditkrrtc, zum LibirLr-Nltrren. j/'\\/agncrs
-ltxt
behauptet l.rier (noch) ilie i\4iiglichheit eincrllinheit
bzu.. clicfirlitische Existenz cines als ,,Llrsprung" verstAn(lencn Aktcs. F)r vcrr.yeist nebel clel Scx- r.rnd Spielsucht ironisch clurch simulltio aftektrv provozierencl auf clic
Kauf-sucht als rt'eitere Nellcn*.irliturg clcr Parkinsonrredikln.rente.:i
])ic
Potenzproblclttatik uncl cine hllluzinatorische Sclbstiiberschätzung, u,elche imaginäreIlilder von
Prclstitution (,,Sertourist") uncl ,\4egrl6nra1ic (,,derero{le Spieler") procluziert, ilrdizieren lieinc (trlit-)Schulcl clet Iiisur. Vichnehr li'erclcu scxuelle Ausschrveifiurgen clurch clic Nebcnu,irlnngcn cler Medika-Illelltc begründet. Das \,Vissen utn citre zuliünftigc Intpotenz kotnurt hinzu.
\Ä'/er-rn sich Nlasktrlinitijt iiber mlinnliche Potci.rz konstituicrt, rlann beclroht clcr
52 Ebentlrr. 53 Irbeirtla.
54 \/gl. Etvurolosischcs \\'iirter.l;uch tlcs Deutschcn. Iler.lin r99j, S. u 44.
55 \,\rrgncr', l{ossi: Poctologili, S. 7r.
55 \\'agncr: JIerr Prrlkrnson, S. ro()f.
57 \'sl. l,rrusllerg: Elcurcntc der-litrr...rrischen Rhct,rrili, S. r4r.
r -50
SPRÜNIE. 5TÖRUNIEN STILMA
Vcrlust von
\4riliti'it
clie Identität des erzählcr.rcler.r lch als i\4enn.Iir
ltelr'cgt sich nun in ciner rrltcritriren \Ä/elt dcr Erkr:rnkrlng '.rmlltnrl
rler' (iescllschlft,uncl scine Irlcntität beginr.rt zu sch\\,21nkel1.
Lln.r clas'Iilnr zu brechen, clas im litcrarischen Diskur:s iustresonclcrc aitf (ler
Sexurrlitrit von ältercn Erlirankten licgt, intlizicrt \Ä/agncr tlas Suchtpotenzial
von l)arkinsotlprltienten, cl'.rs üblichcr!\rcisc ebenso trrltuisiert u'irtl, n. x.
lliit
rlen.r Ncologismus,,l,ibitlo-Nrrr"
clrrlcl-r cinc Ül,.rst.igcttrrg (in liougrr,reuz zu rleren inöglichcr Züg-ellosigkcit). [n scir-rern C]esprrich rnit Christina llossi spricht \4/lgner beziiglich cler Prostitution als litcrarischcs'I'herua cllt'ctlt, clrrsser sich,,nienrrrls clic Frage eestcllt lhabc], ob fcrl Lreirrr Schrcibctt envas c]rirf oder nicht drrrfl'.:s Vielmehr bezeichnet er es als I{ern seincs Scht'eiltcns,;tt.t komplizierten Sachverhlltcn intercssicrt zu sciu, untl irabc ,,Fretttle, zu provo-ziererl".j', t\ls Intention seincs Scl'rreibcns erscheitrt treben citrer Provokrrtion
.;ruch dic I)estmlition tler ron'r':rr"rtizistiscl.reu Vrlrstellr.rng c[cs Zusltntuetthrrt'rgs
vcln Scxtrrrlitiit und Liebc irn literrrriscl.ren Diskurs ilcr (legeuu'art.''" Als Zicl seiner poerisch rlichten TLxte
tlitt
dainit uebeu dcnr gcsellschrtfi'slilitischcnPoteutial eine r.r,citer reichencle risthetische ltnranzip'.rtion
im
litcrariscl.rcn I)iskr.rrs z,ut.JEle, u'elche ohnc Selbstz,elrsLrr alles zutnJ'hctla
u'et'tlett llsscn lirrnrr. \Ä/agr.rer vcrkrriipll zuclen im lloman Ilen'Pu'kinso;z tlct.t literlrischen nrit clem merlizinischen Diskuls, indcnr clas erz.ählenclc lch tl.'J. parttalitischf :r chspr'.r cl-r I i ch e B e g-ri fl-e i n einer rc i) eti ti o clc fi n i e r:t:
l'.s rvlrcn clic P..rrliinson-\Äriirtcr'. I)cr Ti'ettror, dcr liigol', r-l:rs l"re e ziug, clie
D)'s-ki1csic1. I)er'Ii'cnror ist tlas Zittcnr. I)cr Rigor', rlic \/ersteifirng, tlas Freezing ist tlas Nicht-r'on-der-stellc-Iionrmen. f ...1 \\/cr sich als Betr'<tfter.rcr tlic
lilch-sprlcl'rc lncigt.tct, lianu tiantit llestcnflrlls reltoltltllierclt."'
\4,'ieclellrolr.rng in Variationcn ist eitrcs der rypischen Stihnittel in IIt:tt'Ptt'kinsrttt.
Dcr Geri,inn ur sozielem Prestige, rlcl clenrnlch dnrch die Anu'encltrr.rg tlet'als ,,Fachsinrpelei" bezcichneten rnerlizinischen -ltrnrir.ri crreicht u'crcleu li:lltlt,"'
hat als soziales I{..ipital tricht die \4rirkung einer nröglichen Get'resung. Sie
gchiirt zn rlcn sprachlichcn lllflinessen des F,rkrlnkteu, tlie jetloch urtr citle
trügerischc Ilollnr.rng clarstcllen. D'.rnrit u'ircl er.rcl.r trefHich tlie \Ä/irliung
vor'-58 \\ragner, Rossi: Poctrtlogik, S.7:.
59 lrbcntla.
50 lrrr Untclschied tl:rzu sielic z. B. den fiirrrlen I-cbcnsstil in Ciocthcs lliinistl.tttt liltqirtt, ins besontlclc scinc pli..rprischcn (r'gl.,Johrrnn \\''olfgrtng lott Goethe: l{iinrischc li.lesietr' Lr:
Llers.: (]cs:rtnttreltc \\rcrke. Ciiitctsloh r959). 61 \\hgner': Ilcrr P:rrkinson, S. .l+.
62 F-.bentle.
MONIKA LEIPELT-TsAI
ausgesagt, die der Roman selbst haben wird, nämlich eine zuktinftige Hebung
des sozialen Status des Schriftstellers selbst. Das erzählende Ich doziert ferner: L-Dopa ist aber nicht Dopamin, es ist sozusagen ein Verwandter. Man kann
natürlich statt Diesel auch Benzin tanken, aber nicht ftir immer. [...]
Die Botschaft von der guten wirkung des L-Dopa [...] ist eine seiner gängigen
Irreftihrungen.6i
wagner veranschaulicht, dass die westliche Medizin allein auf eine Behand-lung von Krankheitssympromen stan auf eine Heilung zielen kann. Vielmehr wird mit einem Supplement (,,L-Dopa") nur eine verschiebung des problems
der Erkrankung bewirkt. Die Metaphorik der Familienähnlichkeit weist auf eine Personifikation des Arzneimittels (,,ein verwandter,,), welches die Dopa-minproduktion des Erkrankten untersttitzen soll. Sie verdeutlicht zugleich die
Dominanz dieses rhetorischen Stilmittels
in
Herr Parkinson als Verlebendi-gung der Rede, welche enr- und verstellt. Die ambivalenre wirksamkeit desMedikaments ,,L-Dopa" wird demnach, so stellt es der Text heraus, durch seine Nebenwirkungen einem verkehrten Antriebsstoff gleich (,,Benzin
tan-ken"), nur einige
zeit
anhalten. Das Fortschreiten der Krankheit wird davonnichtverhindert. Es verdrängt als supplement die körpereigene Dopaminpro-duktion und fungiert somit ambivalent
in
der Dopperbedeurung eines phar-makon als temporäres Heilmittel und zugleich als Gift.6+Dass wagner im Text sowie bereits im Titel Herr parkinson explizitauf die
Krankheit Parkinson verweist, wirkt entscheidend. Andere Texte wie walsers
scheinen den Namen der Krankheit eher zu verdecken, ebenso der Roman kespektloser unagang
der an
Parkinsonismus erkranktenAutorin
HelgaKönigsdorf,6s die als Mathematikprofessorin tätig war. In 5z Kürzestkapiteln
werden darin homodiegetisch neben dem Rückblick auf das Leben der Icher-zählerin deren Begegnungen
mit
der verstorbenen Atomphysikerin Lise Meitner thematisiert. Diese vermeintlich übersinnlichen wahrnehmungen sind scheinbardurch,grüne
Kapseln" hervorgerufene Halluzinationen,66welche den,,gestörten Dopaminhaushalt
ilml
zentralnervensystem,, derIcherzählerin regulieren sollen.6z Königsdorfs Narrativ gibt Hinweise auf
53 Ebenda, S.49f.
54 Das pharmakon kann in der Übersetzung aus dem Griechischen zugleich als Heilmittel, Rezept,
^Gift, Droge oder Zalbemank intärpreriert werden (vgl. Jacqös Derrida: Dissemi-nation. Chicago 1972, S. )OCV).
!l
Y.gt Helga Königsdorf: Respektloser Umgang. Berlin, Weimar r99o, S. g.56 Ebenda, S.7. 57 Ebenda, S.8.
r52
5PRÜNGE, STÖRUNCEN, STIGMA
eine degenerative, möglicherweise genetisch bedingte Krankheit der Icher-zählerin,68 die diese zur Beendigung ihrer beruflichen Karriere als Wissen-schaftlerin zwingt. Sie sucht nach dem Sinn der Erkrankung, den sie
schließ-lich als historische Mission erkennt (,,einen höheren Auftrag").or Nachdem
eine
imaginierte Gerichtsverhandlungüber
Königsdorfs Icherzählerin beginnt, wird diese vonein[em] Geftihl geistiger Überansue.rgung ftefallen], und die letzten Dopa-minreserven versiegen. Kälteschauer jagen über meinen Rücken. Die Hände
schlagen im groben Tiemolo. Ein zwanghaftes Nicken des Kopfes. Stereotyp
wiederholte Bewegungen, durch keinen Willensakt beeinflußbar.zo
Das Schlagen der Hände und das zwanghafte Wiederholen von Bewegungen
verraten in Königsdorfs Text den Themor des Parkinsonismus, mit dem die verausgabte Icherzählerin leben muss. Das Problem der reduzierten Menge an Dopamin verweist ebenso auf dieses Krankheitsbild. Königsdorf nurzt in ihrem Roman demnach Beschreibungen, welche die Symptome einer
Par-kinsonerkrankung zu umschreiben scheinen.
Ihre
Icherzählerin benennt diese dabei jedoch nicht namendich als ,,Parkinson", sodass die Erkrankung letzdich opak bleibt. Denn, wie es bei Wagner heißt, die Parkinsonerkran-kung ,,hat so gut wie keine ureigenen Symptome, mischt aber überall mit",7'das heißt diese Anzeichen werden bei Königsdorf nicht als Wissen von einer Parkinsonerkrankung
formuliert.z' Während
die
Romane RespektloserUrngang wie
Herr
Parkinson beide episodisch undim
Montageverfahrengeschrieben sind,zl scheint Königsdorfs weniger surrealistisch verfremdete,
kurze Erzählung eher zwischen unheimlichen Szenen psychografi sch-magi-schen Realismus und historischem Rückblick ihrer Ahnen zu pendeln.
Wag-ners Roman wechselt hingegen stärker zwischen elegischen und ironischen fünen, wenn er mit den
Mitteln
der Komik die absurden Seiten der tragi-schen Erkrankung auslotet.58 Vgl. ebenda, S.45. 69 Ebenda, S.84. 70 Ebenda, S.86.
71 Wagner: Herr Parkinson, S. 27.
72 Andere neurologische Erkrankungen sowie Borreliose haben die gleiche Anfangsrynnpto-matik und können sich zu Parkinson entwickeln (vgl. DanielJ. Cameron: Subacute Parkin-sonism as a Complication of L)rme Disease, 18. April zot7, <hrtp://danielcameronmd.com./ subacute-parkinsonism-complication J1'rne-disease/>, 9. 3. z o r 8).
73 Ygl. Susanne Schafftath: Die Literarische Moderne am Ende der DDR. Erzähltexte von Helga Königsdorf, Monika Maron und Brigitte Burmeister vor dem Umbruch 1989. Mar-burg zorr, S.95.
MONII(A LEIPELT TSAI
5törungen. Lesen
,,I{liniscl-re hlrrnl'er.rbcrichtc sintl rvic llrzlihlungen",T+ v'entr inr nredizinisclren
Diskurs atrch clie cltrrch eine It,rlilanlitrng intlrrzicrtcn Lcidcn bcschrieben u'er-rlen. I)ocli inr Unterschiecl zrr cliesern 'uvilrl inr poetisch-litcrrrrischen Dislnrs rler lilitive Anteil tler
Nlrrrtion
niclrt unterschlag-en. Ztrclem u'ircl vor allcrn cliesribjehtir-inclividucllc Seite rlcs liranliscins uncl rles F)'lilanlitcn selbst ins
Zcr.r-trnt.tr gcriicht.;: Dics
triflt
auch dic Prrthcigrrrtie LIr'ri'I)trkituott \Ähgncrs. A4:rnkrinr.rtc sic :rls Vcrhehnrng cincs l.l,nni'icklungsronrr.urs bezeichnen, in ri'elchcnr
clcl I Ilncllungsrrblault in Splittcr eeteilt und chrrcheinanrlergerlten ist und st'.rtt
eincr hartnotrischen r\usbilclung- der eigeuetr Anlacen des l)rotagonistcn clcrcn
Verh.rst beklrgt
riirrl. Dcr
l{omrrnentflltet
seirr N';irr'.rtiv ecstrlff'cltin
vierdr.rrchnuuurcricrt rrls ,,'lLile " bczcichnetcn (irollliepitelrr, ri'elche die
Pr<igretli-cnz cler Erkrrrnl<ung chronoloqisch ltrzusprechen scheinen turcl jc mit eincn.r
Iiurztite I untl Ziftern urarl,iert sintl.
"f eder rlieser i'icr TLilc glicdcrt sich in
kilr-zerc r\bscl.rnitte, rvclche ltus loclier riufg'ereihtcn Absätzcr.r bcstchcn. Das Text* biltl rvirlit besrinclels inr lctz.ten, kiirzercn
-I:il
zerrissen, u,o gltillcre Flächen lccr blciben, als ob dic Gecläc]rtnisliicken irn Schriltbilrl darscstellt rverclensol-lcn. Die'li:rtrrbschnitte crscheinen
zurn'Itil
splLrnghrli urseclrr-lnet lrzu'.coll'l-g'iert, ch sicl'r inr I-escprozess nicht immer eine (r'enneintliche) liohi.ilenz
fin-clcn lijsst. Ä4it dieser: Pertonn'ltivcn Spmnghrrftiekeit des'Ibxtes, clie cl:rs l,escr.r
signifilirrnt stt)rt unrl zunr
'li:il
verllngsirnrt, kclrleslroncliert rlie Sprunghaf-tie-kcit lul'del Inhaltsebene rler Erzühlurle rls 1)h1'5i5che uncl psvchische F olge rlerLlrkrarrlinrrg. Clleich z.u 13cgir.r1 tlcs ersteu'li:ils
t.rll
Hct't'Prrt'kittroa rvircl clieFrage r.nch rlern IJintcrg'runrl tlcr Erhrankung srrtirisch velhanclelt:
Irrr Glurrtlc rvrrL cs urein rcchtes 13ein, rlrrs rnich ins LingliickgcstiirztIut. ()hnc
rliescs lleir-r rviit'c urciu l-ebcn antlels vcrllulen. Jch hrittc cinen Flut gctrrlucrl,
u'enn mcrn lcchtcs ]lcin nrir njcht strindig an tlie J{renl)c g'ctipl)t hr'itte. Icli
l-rättc dcn Frirucu tief in tlie ..\rrgen srhcn ki)nnen, ri-cnn cl:rs Ilein sicli
nichtso-firlt rruf ihre truscntl Iiiille gestcllt hrittc. l...l
l)as nrejste xrn clcnr r',ts ich srrl'r, hrrtte irnmcl noch IIrr-rd nnd
liull,
[...].,\'lanchnrrrl lbcr st.rnrl ich sckunclcnlang' rvic rrngcs'ulzelt cla.;t'
Dcr llomrin bcginnt so bereits rnit cincr ilonischcn Art-ryort lr.rf tlas ]ljtsc] tles
ParHnsonismLls, \I.enn er iu ciner Siturtior.rskornik die Schuldflagc r.erkehrt und
74 -]ohirnnes Ulricli Schncirler': tr'lichcl lioucrult. D:rnnst,rtlt:oo4, S. 5r.
75 \'el. l)ietrich votr ltuqclharrlt: \ronr Dirlrg tler r\'lctlizin untl Literrrnrr inr :o.,[.rhrhunrlcrt. Lr: Ilettinrr \'on.Jitq-()\r, lilrriiu.t Srcgcr (FIgg.): Ilepliisentttioncn. i\'lcdizin untl E,thrli in
Litc-rrltur un(l I{r.rnst dcr I'lotleluc. Ilcidclltcr! :oo4, S. : r 4o, hrer': S. :3f.
76 \\/:tgncr: I Icll lritrkrnsor, S. 9f.
r5+
SPRÜNIE, STÖRUNCEN, STIIMA
eiuetn ciuzchrcn I{örpertcil, clem schcinbrr isolicrt ..rgierentlen l3ein, clic
Ursa-chc tler schrv,tuketrdetr Beu'cgurtgcn eiues ])rirkinsoncrkrrrnkten unrl rles
Lci-rlens '.rls ,,LIIrg'llicli" zuspricht.'; I)amit rvird clic rütselhrrfic hontingenz der
P..rr-kitrsouerkrattkung- persilliert. ,'\rich clic Flagle tles 13egchrcns rrnrl rlcr l,lrotik
u,irtl atrg'cschtrittcn (,,den I''rrruen ticf in clie Augen sehcn"), dic lelrrcr clern I{api-teltitcl
,,'l)\UMEL"
kolresponcliert unrl in ciner rtrög-lichen \ierkntipfirne ntitJ<rlr'arrrr Clottf icd Schnlbels Dcr iut Ii'i'qtri'tcu lct'Lieht: ltcrunl trunttcltttlc C'ti,rrlit.t'
(rl+6)
fi-ivol rttuouriisc G'llrrnteriet.r tles Iloliolio assoziicrcn kturn.isI)ic
liorr-junktir.lirmr .,hätte" als \,tlllnoclus negiert jcclcich crn rnrieliches \Ä/eitcrfül.rrcn tlcr erotischen Doppelcleutiglieiten irls irreel. \\tcun r',rneincl
Llllclzrihl rlerFüIlc (,,tausencl IiiilJe") clie lLerle ist, kann clics :ruch als Anspieluns auf
'lirusentl-fiilJlcr uncl dls il-rncr.r zr-r{,lch(irige Grft gelescn u'crclcn, ri'onrit clas Stcllcn bzrv.
'li'cten auf tlereu Füllc eine Prtl1rse111x1111k oflenbrrrt, netrn rliescs Tirn vur rlcr' liinri'irkung vou pluraleti ,,lirrruen" rvie vor gefiihrlichcn Inseliten schützcr.r soll.
J'.s lblgt ein \,\loltspicl mit tlcr ulngarlsssl)rircl-rlichen Rcrlensrrrt,,Iland und FLr{l
habcn", u.c'lche hcutzut'Jge clie Iletleunrng ,,g,ut clurchdrrcht sein" trägt.;', Sic
geht insbesontle rc rruf tlls sprachlichc
llikl
fiir
die volle h.rtllitheit dcr Pcrsonz.urück.N" I)och sic riirtl nicht clenr crz:ihlcnrlctr lch zugesprochen, sonrleln dcr'
r\ktivitijt des Sehens uutl stört nrit rlicser \/crschieltung- den Lcsefluss. I)cr Blicli in clie Aug'en, ehctlcur itn ronrrrntischen I)isl'urs
lls
Spiegel clcr Seele\rersr:l11-tlcn, blcrbt ihrn verlveht't, un(l seinel vcmrcintlichen Lcistungsfrihie'keit rvircl im
'ILxt bald u'idersprocherl, \\.cll11 chs crzrihlcntle Ich v<in cincr pftrtzlichen
Ileu.c-q'ungslosigkcit bcrichtet (,,u.ie lngelvurzelt").8' I)araus li'.rr.rr.r r.r.rrrn fillg'ern, clrrss
es ohnc Befi:iedigung sciner Augen(lust)t'
-
bz-u'. rles F.intlringcns ir.r clie Sphrire cler Arrleren als rrusu.echsclbares, rlnon\ilncs ()bjckt-
und sourit crlolg'los bleibt.\,\ragner illierbietct clic Absurdität der Sinr'.rtion m1:poetische \Ä'cisc, inrlem irn
Narrativ gegen phvsilialische Gcsetze vclstollcr.r ri'ird. r\r-rch ein
Parkinsonliran-iicr ist nicht fähig, nrit scitrcrn llein an tlie Flutkrenrl)c zu tipperi. Diese sroteske
r\{ctonynrie, clie zuclcn.r a1s phallische personificrrtio gelesen q'erclcn k..rnrl,
r'er-rveist auf die Problemc rler \,\/ahrnchnrungsstiirung rler nrlrrltiven Tnstanz,
u'cl-clte vclu letztercr luschciuetrrl nicht infi'ag-c gestcllt li'irtl. Indirekt ri'ird so ch,rrclr
77 I,lbcntla.
78 ,[ohrrnn (iottflietl Schn',rlrcl: l)cl irtr Irrsrrten tlcr Lichc hcrunr t.runrelnrlc (]rn,rlrcr'.
Nold-hrtuscn r7jä, tr'lirnchcn r9rr8, <http://rlutcnbclg.spicgcl.tle/buch/dcr inr ilrglrtcn-rler'-liclrc-helLrnr trr.rnrclnde -k,n,.,llicr-4<>7 / t>, r 7. 3 .: o r li.
79 I)utlen. Ilerleu,endtrngcn, S. jz 3.
B0 l'lbcncl..r.
81 \Ä''.rgncr: Ilclr PrrLinson, S. ro.
82 JectpesLrrc:tnspriclrtlrlrcinern.,\ppctittles'\nr{cs".\'gl.-frlcqilesJ,'.rcrrn:
])ier,icr'(lrunrl-be sri{l! tlel Ps\,cho:rnrrlysc. \\rcinhcinr, l}cr'1in rqr;(r, S. r: z.
iVONII(A LEIPELT-ISA SPRÜN{,F 5TÖRUI\]I,EN 5TIt,I\/A
rlicsc I)elsillage zuulcich lr.rch rttrlt tlic Ä{etrrclzrihiung tle r z\u11ilärunq' angcspie lt
utrtl rlcr (llaubc :tn eitictt stctigen liortschr:itt ncgiert, tl. h. in diesem
llrll
ln
tlenIior:tschritt del motlclncn r\'l ctli zin.
l)as Stolpcrn unrl dic teilrveise \rcl'liingsrrnrr-rng', rlie hier bci rlcr lionstruli-tirtn cincs Sinr.rs im Lcsepr<lzcss zr.rstiurdc houlnt, entspr:icht gcnari
tlcl
I)crs-pektivc tlcs e rzirhlendeu lch, tlrts Sl nrptonrc schiltlcrt, clicfiil
eineParkinso-trcrkr"attliut.tg 11,Piscl'r sintl:r\uch llci dieser' ltrkfrinhunp'tritt cinc \.rcrlangsitrrrung luf,s: 1i."t-ttt
tlie
lJcu,cguneclr \,onr crLranlitcr-r I{i)r'per verzriqcrt umqeset:/.trle,rclctr ur.rtl tlie i\'luskehr sich verstcifctr, orlcr cliesc gnnz int (leeensatz tl.tz.rr
plotzlich lqict'eu utttl
vont ]illirrrnlitcn
rurpeplant ct\,\,rrs rlLrsliihren.l)er
r\bscl-rnitt rvircl urit citrcnr sirrgulür' stehctrtlen Sirtz rrb{.leschlosscn: ,,Lfnrl rlarrr"rri.rti'tlr uoch rl'.rs Problct.u nrit dcnr Ilcitr."8+,\i-rstrrtt cir-rcr rlen \brf.r11
rltschlic-lle nrle n Außc,r'ttng scircint cr cinleitctrtl crne ut
llrf
clicsellte lrroble nrrrtik]rinz.tr-rt'eisctt, clic zu Ilcgintr tlcs lkrnr'lns eriär.rtcrt rinltlc. \l/agncls rrrlir.ricrte c]rro-nologische \''crlicrhrung- r'or.t ,r\nfrurrt urrrcl Abschluss
tlcl
llcrlc vcrrlcutlicht rlie \rcnvirruttg, zu tlcr dic Iirlrrlnliung dls crzählenrle lch fiihrt.I)ic
Vcrlrrngsa-Inuug tlcs l-eseprozcsscs utrcl tlie verschobene Clhnrnokra'ic rlcr'lLrtrrbschnittc
firr.rg-icrcn in ihre r l)crlirnnativitrit rils Dcrnonstr'.ition rlcr Folgcn e irrer
[)arliin-sonerlirlnktrng. Zugleicl.r nranif-csticrt sich
tlrrin
cine Unsicherheit bez,iiglicl-rdcr Spr'.rchc.sj Lrlut \\irrgncl u'ulclcn scine litcr'.rrischc Sprlchc von rlcr
\ycstli-chcu ,\,Iotlcrne ucpriiqt,s" rla tliesc
tricht nut'tler Irrnzclncn rrus,lcl Nor-m Igli{i:], sontlcln rruch rlrrs
\lirt.
Dic .\lrtlclnc crltzog rl:rs\\irt
tlenr S1-stenr. 1...1 -\lrin J-cben ist rricht cinclrrz-:ih-Iung, sontlcrn cine (lrll:rge.N:
I)rts Sprrrnehrrft-UnsYstclratischc, rr'clches gcgen cine velrneintliche Nolnrrr-litrit, Norrrr',rlisicrung trncl Clleichschlltrrng rrrbcitct uncl (jollrrgcn ..rus
r\bsät-zctt ltzu'. Sritzcn pt'ocluzielt, entspricht denr crkrrurlitcn l{itr'lter u'ie rruch rlcrn 'lLrtlitrrptrs vott H.'r';' l)rri'ltittsoit scllrst. l)iesc bcri'usstc Schlciltstr..rtcg'ie
\Ä'rte-83 \'ql. \\-:tgncr-: I lcli l)ruLinson, Lr. r. S. 7 3.
84 l')bcurlrr. S, ro.
B5 l)rr \\iruncl rrus eintr (lcutschon llintlcrhcit Lournrt, ist scin Spr,rchbczLrl \(,1r cincr.
be stirnttrtctr ,\rt Ljnsichtlhcit gcprrlgt. So schlcilrt ,:r ruch: ,,Ich stclr
'rtrf cir.rcrn nnsicheren (irtrntl. ,\lirrtlcrhcitcn belicnncn sich zu Sprrtchcn, iilrcr tlic sic nicht u illilrcli r,crfii!en f...1. Sie zucifcln rttr ihrel Spr,rche turtl Llunntr:r'n sich rkrcli rur sie," (llichrrld \\ircner': l)ie
llttlctrtLruq tlcr Iirirrtlcr',,tltt tt,rtt lnncLcrt z-urn,irrßclstcn rurd rvierlcr zirliicli. In: \\'..rgncr',
Iiossi: I)oe toiogili, S. l -j r r4(r, l-riur: S r l l).
B5 ltr selbst rlerlnt untct t'iclr:tr aurlcrct.t rlic \i|icncr (irtrppe, Iloll:l)rctcl llrinLnrrrun. IJeltolt Ilrccht, \irllicr lJrrtur.r, IlelnrrLt llerlicnbiimel (r'gl. cbcn(li, S. r.14) souie Prrul (lclrrn untl 'l'honrrrs IJclnhrrltl (rgl.
ebcntla, S. r l6).
B7 \\'aqncr: I)ic BrtleutLurg tlcl ltrinrlcr, S, r 3 3.
r 5(r
lrers clttspricht seincr schlilttstcllcrischcn Positiotr rur rlctr [lrindcnt.
[,'r,rgntcn-tarisicrung' ur.rd Mrrlsinrtlisicrung' sintl bei \Ä'ac'nel' nicht rrllein topoglrifiscli unrl sprrrchlich in Ilczuq-.
luf
rlas Rrrtrrtt uncl scine Llthnizitrit ru-Lszuni.rchen, r,icl-nrclir liiintren sie itr tler Crlcgcnri'rrrt :ruch ruf clie Ilriritle r tlcr lrtrntlestleutschcll()escllschlft' bczogctr \\,er(1cn, u'cnn seine Schleilpr'.rxis sich rlulcl.r rlic ,,l)liin-losiglicit" seiner llrlir'lnkung \.crijndert. I)'.rnrit liorlcsponrliclt scinc l\uss.rgc
ir.r rler Fr'.rnlilirrtcr Poctill'orlcsung r()9.1 : ,,Ich schrcibe itr rlcr Linsichcrhcit
rlcr Sprrichc. Ich srrgc Llnsrrgb'lrcs. lch sagc cs, xls \\'iirc es srtglrrrt'. I)as ist bis
Irctrtc sr)."rs ,\trch bcz.Liq-lich 1lt'r.i' Ptrt'Iittsoit siu;nilrziercn clicsc sprrrchLritischcn Sritzc von tlcr irrrrrLiqrL'rten Unsicherht:it der Spr".rclre rrnrl clcni Unslgbarcn
\\L;ru,'ncr:s I)ichtliunst, rlcnn bczcichncnrlclu'cisc ist rlic tlrrtrurrrtischc ltrf,rh-fr.lng eilrcr' [)rrrliinsoncllilrnliurrll \'on nic]lit llctxlll'encn kirrrnr vorstclllr:u Lrntl scheir.rt clrenfrrlls rnlsa!,;l)ar'. \\'rrgner lrutzt denr entsllrcchentl
tlic,\'lehlrlerrtig'-l;citcr.r rlcr SPr'rche (u,ie zrrnr licisPicl ihrc q^f untlleg'cnrle l)o11.5crrrie, Ncologis-nrcn, Sl)frchspiclc nrit llccleri'cnrllurgcn), r-rn rlas []rlittcnc tlrrnsponiert lrnrl poctisch vcrrvrrrrrlelt zrrl Spllchc zrr lringen.
Stigma als Exl<lusion und Spur
,\irrr.r lirrnr.r sich 1r'rre'en, n'eshalir r'or tlcr Publiliatioti r.ou \,\/aqners li.otnitn rl.is
'l'hcrn;r l)alkinson lirrum litcru'ischc Ilc:rchnlng frlncl. Dls Offcnsiclitlichc
fil'-mulicrt \\/rrgnel arrf cliese \,\/eise: ,,\,\'el Prrrlrinson hrit, tirunrclt liingst clrrrch tlie
\\/clt, trntl ,rllc sehen rlas Ilinhcn, tl'.rs Stcllpcln rLncl HiiPf-cn".3" I)rrrch rlievisu-cllc \\r';rhr:rrehnrung rlcr Unrgcbentlcn (,,rtllc") lvircl inr 'll.trrurelu rrls ri,ichtiq'es
.\nlrrrrgsst'rnptrlrn tlcr I'lrl<r".tr.rkung eit.r I{ontrollr'crlrrst crkirnnt, dcr
rrltscl'rre-clicncl ri'ir:lit. [,]ine I)irrqnose beruht ,rrLf .lcrn spez.ilisch nietlizinischen Blicli, rlcni ,,uretlicirl q-:rze","" tler' ,mf clcnr rLncingcschriirrlitetr \4Iert rles Sichtbrren
(,,thc '.rbsolutc vitlucs oltthc visiblc")"' lrrisicrcrirl cinc g'clcstie-te n.rctliz.ir.rische
\blstclliuig
dcs Subjclits bcinhaltet, u'clchc tlcsscn Lrtlivichr'.rlit,jtnicht
inllctracht zieht. Inr ]i;rll clicscs Erzcrpts u'irtl clat"lrl's cin hollchtivcr
1nc(lizini-sclier ISlick,
tlel
belr'emtlct untl tlen Ilctr:ichtctenbc-uuil
vcnrrtcilt. In cler'\rergane'enheit
hlt
die Angst \ror cincr intensiven r\usctn'.rntlct'sctzrirlgrlit
tlicscr ertrern lletlrohlich ri'irlienclcn Nclvcrrkrirnkhcit zu tlcrcr.r \,ter:clt'ängtnrg; uncl 'lirlrrrisienllrrr- geliihrt, obri'ohl, o(lcr gerrdc, rveil dic Problcnrltik rliescrBB Iibenrlrr, S. r j.3.
B9 \\'':r{rncr: lltrr Prtrliinson, S. -3.;.
90 \lichcl lioucirult: 'l'hcllirthof thc(llinic..\nr\rchcologvol']Ictlicrrl Percrptiotr.Neu \irlk
te94, S. XII. 91 IlbcnLlrr.
-MONIKA LEIPELT-TSAI
Erlrankung in der Gesellschaft als bekannt gedacht wird (siehe oben). Denn
diese ftihrt in einen entsetzlichen Zustand,, in dem bei vollem Bewusstsein alle
Muskeln des Körpers bewegungsunfähig werden, so dass ein Vergleich mit der
Figur des rJntoten nahe liegen mag. Die fehlende literarische Beschaftigung
mit dieser Thematik kann zudem darauf zurückzuführen sein, dass an
Parkin-son erkrankte Menschen
in
der Öffentlichkeit wenig prominent sind, da sieinfolge der Erlrankung lächerlich gemachte, und beispielsweise als ,,Narr,,
stigmatisiert werden.e3 Das Thema der sozialen ,,Ausgrenzung"
führt
daserzählende Ich zum Rückblick auf die Kindheit, r+ y6bei es auf ehemals geheim
gehaltene,,Familienkrankheiten" als möglichen Hintergrund der Erkrankung weist.es Tläger einer unheilbaren Krankheit waren auf dem ,,Heiratsmarkt" wenig begehrt, denn ,,unheilbar bedeutete [oft] auch vererblich",f was die Gesundheit nachfolgender Generarionen gefährden könnte. Dann heißt es in
Her
Parkinroz.' ,,Krankheiten können Stigma sein, aber auch Verheißung,,.rzDiese Worte erinnern an die Mehrdeutigkeit des Begriffs ,,Stigma", denn neben der Möglichkeit einer Ausgrenzung können Krankheiten auch
Bedeut-sames versprechen. Das Nomen ,,stigma" stammt von dem gleichlautenden griechischen Nomen, welches
ftir
,,Stich, Brandmal, Malzeichen,Kennzei-chen" steht.cs Es kann
in
der Verbform ,,stigmatisieren" neben ,,mit den Wundmalen Christi gezeichnet" auch auf eine Auszeichr*g verweisen. Imübertragenen sinne steht es meist ftir die Beschimpfung eines Gezeichneten.
Die Erfahrung der Ausgrenzung hat auf andere weise auch Hdlöne cixous
beschrieben. In ihrem poetischen Bnch stigmata. Escaping ??rer diskutiert sie
die Ambiguität von stigmen als auffällige, oft negativ beurteilte Merlrnale. Dort schreibt sie über ihre Texte:
None of these scenes [...] avoids the cruel mark. At the same time, each of these scenes is a scene of flight in the face of the intolerable. But not only to 'save one's skin' as French idiom says. In fleeing, the flight saztes the trace of what
it
flees. This is why they flee: to naintain the horror unforgenable [...] this is my sruggle to escape from and to face the terrifying thing.cr
92 Vgl. Wagner: Herr Parkinson, S. 79.
93 Ebenda, S.4o. 94 Ebenda, S.99. 95 Ebenda, S.54.
95 Wagner: Habseligkeiten, S. ror.
97 Wagner: Herr Parkinson, S. 54.
98 Vgl. Eg'mologisches Wtirterbuch des Deutschen, S. r363.
99 H6löne cixorrs: Stigmata. EscapingTexts.
wth
a Foreword byJacques Derrida and a New Preface by the Author. London, New York zoo5, hier: S. X. Hervorhebung der verfasserin.r58
5PRÜNGE, STÖRUNGEN, STIGMA
Jeder Text erscheint als Szene der Flucht, doch nicht allein um der Retnrng willen, denn im Fliehen rettet nach Cixous zugleich die Tätsache der Flucht die Spur dessen,'* wovor man flieht. Demnach wären Cixous'Texte Spuren einer metaphorischen oder tatsächlichem Wunde, die neben dem Leiden an der Stigmatisierung auch als ,,blessed" wohltuend bzw. geheiligt sei.ro' Denn
Stigmata verwunden und stimulieren zugleich, und können dadurch andere
Eigenschaften entwickeln lassen, die Erfolge verzeichnen. Beim literarischen Schreiben formen Stigma und Ti'auma ein Bündnis, indem Literatur die
Wunde feiert und die Verletzung wiederholt.'o'
Mit
anderen Worten lässt sich die Einschreibung des Stigmas als Spur in den literarischen Texten lesen.Mit
der Entfaltung der Ambiguität des Stigmas in Cixous' Denkbewegung kann Literatur als Wiederholung der Verwundungund zugleich als kreative literarische Ti"ansformation aufgefasst werden. Lite-rarische Werke werden so als offene Textkörper gesehen, die das Stigma in der Auseinandersetzung damit produktiv macht und existenziell wichtig werden
lässt. Indem der Schriftsteller seine Scham funktionalisiert und in Produktivi-tätumwandelt, wird die ,,Verheißung" des Stigmas umgesetzt. So erscheint das
Stigma als auszeichnende Markierung und Verwundung
im
Text anwesend und abwesend zugleich. Die Leiden an der rätselhaften Erkrankung und die gesellschaftliche Stigmatisierung machen erstaunlicherweise dazu fähig, sich dem schwierigen Thema zu stellen und einen Text zu produzieren.Alteritärer Blick
Mit
Wagners Roman Herr Parkinson lässt sich die Frage des Wissens derErtrankung neu stellen.
Die
Parkinsonerkrankungwird
zum Anstoß und Anlass des Schreibens. Damit wird die öffentliche Aufrnertsamkeit verstärkt auf die Problematik der Erkrankung gelenkt. Der Roman kann als poetischerAngriff auf die
in
der Literaturgeschichte geprägten Täbus gelesen werden. Wagner etabliert ein vernachlässigtes Thema, indem er im Topos desAußen-seiters die Perspektive und Leiden eines an Parkinson Erkranken inszeniert.
Dies
wirft
ein neues Licht auf die Stellung von neurologisch Erkrankten in unserer Gesellschaft. Sein Roman provoziert eine Auseinandersetzung mit100 Sie folgt hier Derrida, der anstelle eines Zeichenbegrifis den Begriff der Schrift als Spur einftihn (vgl.Jacques Derrida: Freud und der Schauplatz der Schrift. In: ders.: Die Schrift und die Difierenz. Frankfurt am Main 1997, S. 3oz-35o). Wird die Schrift als Spur
gele-sen, so lässt sich ihr nicht nur eine einzige Semantik zuordnen, sondern eine Pluralität von Bedeutung eröftren.
101 Cixous: Stigmaa. Escaping Texts, S. r49. 102 Vgl. ebenda, S. )(If.
---MONIKA LEIPELT-TSAI
den Praktiken der Medizin
und der
Gesundheitspolitikin
Deutschland.Krankheit ist keine MetapheE kann aber als solche benutzt werden, um
gesell-schaftliche Verhältnisse darzustellen. Demnach steht der Parkinsonismus ftir Individualität und exzentrische Lebenskunst,'"1 welche die Repressionen der
zeitgenössischen Gesellschaft gegen das Alteritäre demonstrieren.
Wagner erörtert die Problematik nicht allein auf der Handlungsebene des
Textes. vielmehr fungiert die fehlende chronologische stringenz als
perfor-mative Imitation der Erkrankung und ermöglicht eine Einfiihrung in die Welt
der
Parkinsonerkrankten. Aufgrund starker körperlicherund
psychischerBeeinträchtigungen werden diese
in
fortgeschrittenen Stadien stigmatisiert.Die Erkrankung kann bei wagner nicht allein als negative Entwicklung
aufge-fasst werden, wenn die Tlansformation der Identität eine Alterität hervor-bringt, welche in ihrer performativen Sprachkritik durch das Spiel mit
Rede-wendungen und rhetorischen Stilmitteln Unsagbares zur Sprache bringt. Die Erkrankung bewirkt keine Schreibblockade, sie regt vielmehr im Sinne Cixous'
ein kreatives Schreiben über körperliche Blockaden an. Morbus Parkinson zerstört nicht nur, er initiiert auch Neues. Der ,,Afiorbus P " verbleibt somit ein
Rätsel, das es zu bedenken gilt.'"+
Richard Wagners
Herr
Parkinson
Die
literarische
Begegnung
mit
der eigenen
Krankheit im internationalen
Vergleich
BRIGID HAINESl
Der vorliegende Beitrag betrachtet den Prosatext Herr Parkinson von Richard Wagner im internationalen Vergleich mit zwei weiteren literarischen
Zeugnis-sen über die Erfahrung der Parkinsonerkrankung. Dabei wird zunächst auf
Krankheitsdiskurse und Memoiren als allgemeines Phänomen eingegangen, in denen Krebs der Ausgangspunkt der Narration ist, und anschließend auf
lite-rarische Parkinson-Diskurse, die besondere, sich aus dem Wesen der Krank-heit ergebende Eigenschaften aufireisen.
Wie reagiert ein schöpferisch veranlagter und
im
rnedialen Rampenlichtstehender Mensch, wenn er plötzlich mit der Diagnose einer schweren oder gar lebensbedrohlichen Krankheit konfrontiert wird? Einerseits kann er die Erkrankung als Privatangelegenheit ansehen und die Öffentlichkeit allenfalls
im Nachhinein darüber informieren. Der britische Schriftsteller und
Dreh-buchautor Alan Bennett etwa, bekannt vor allem durch seine Mitwirkung an
der Bühnenrevte Bryond the Fringe sowie die Bühnenstäcke The Madness of King George 111und The History Boys, iberraschte seine zahlreichen Fans im
Jahr zoo5 mit der Nachricht, dass die Ärzte ihm nur eine zo-prozentige Übet-lebenschance eingeräumt hatten, als bei ihm acht Jahre zuvor ein
Dickdarm-karzinom diagnostiziert worden war.' Er war offensichdich
-
zunächstzumin-dest
-
der Meinung, sein Privadeben betreffe seine Leser nicht.Eine weitere häufige Reaktion, die im Übrigen nicht nur unter
Kulturschaf-fenden verbreitet ist, besteht in dem Entschluss, von nun an umso intensiver zu leben: der Krankheit zu trotzen, indem man alles aus seinem
schöpferi-schen Thlent herausholt, um den Fans und sich selbst so lange wie irgend
mög-103 ,,Der Parkinson ist eine Krankheit ftir Einzelgänger." wagner: Herr Parkinson, s. rz3 104 Ebenda, S. 5. Hervorhebung im Original.