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Arbeitsrahmen und Forschungsinteresse:

Gegenüber dem Planungsstand des Antrags vom Januar 2009 sind zwei kleine Exkursionen hinzu gekommen, die, als Anschauungsergänzung, die thematische Arbeit an kulturellen Kontexten pädagogischer Professionalisierung stützen konnten. Die erste Exkursion – am Morgen nach der Ankunft der Gruppe auch als Beitrag zur Überwindung des Jetlag gedacht – galt der Hamburger Louise Schröder Schule. Obwohl der Aufenthalt der Gäste aus Taiwan schon in die Ferienzeit fiel, also kein Schulunterricht zu sehen war, hat sich der Besuch gelohnt, weil im Gespräch vor allem mit der stellvertretenden Schulleiterin einerseits deutlich wurde, wie sich pädagogische Professionalität in der Herausforderung durch lokale und

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schulsituative Probleme, insbesondere mit dem Einbezug der personalen und kulturellen Potentiale des Stadtteils in die schulische Arbeit fortentwickeln kann, andererseits aber auch, dass eine solche praktische Entwicklung kurz- oder mittelfristig unabhängig von den Diskursen der Scientific Community erfolgt und diesen oft sogar vorausgeht. Die zweite Exkursion – am späten Nachmittag des dritten Arbeitstages – galt dem Museumsdorf

„Kiekeberg“ im Hamburger Umland, in dem sich mit der Transformation der ländlichen zur industrienahen Gesellschaft bis zur Mitte des 20. Jahrhundert soziale und kulturelle Rahmenbedingungen auch für pädagogische Professionen nachvollziehen ließen.

Nach der Tagung im September 2006 war die jetzige Arbeitstagung die zweite Etappe des bilateralen Austauschs über das gemeinsame Untersuchungsthema der biographischen Entwicklung pädagogischer Professionalität. Vor allem deren soziokulturelle Hintergründe sollten weiter geklärt werden. Aus der vorausgehenden Tagung hatten sich insbesondere zwei Probleme ergeben:

1) Relevante soziokulturelle Hintergründe lassen sich nicht einfach angeben. Sie sind gleichsam in die kulturspezifischen Begrifflichkeiten und Wissenschaftskulturen eingelagert, so dass diese zum Thema werden.

2) Aus vorliegender Forschung lässt sich in allgemeiner Form manches über Wissenschaftskulturen und Begrifflichkeiten im taiwanesischen sowie chinesischen Kulturraum (etwa „holistische Kultur“) und im deutschen Kulturraum (etwa „Gesellschaft der Individuen“) entnehmen.

Doch so allgemeine Charakterisierungen verdecken oft mehr, als sie erklären. Deshalb war unsere Frage, wie sich welche Sinn-Universen auf der Ebene der konkreten Dokumente herausarbeiten lassen. Die Frage bezieht sich nur im ersten Schritt auf die vorliegenden biographischen Erzählungen pädagogisch Professioneller selbst. Der zweite, wichtigere Schritt gilt der Zugänglichkeit der tatsächlichen soziokulturellen Praxis pädagogischer Professionalität im je fremden Kulturraum. Eine Begriffssprache, die für den

„Einheimischen“ selbstverständlich sein mag, kann dem Blick des

„Fremden“ widerstehen. Aus dieser Konstellation ergibt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Charakter der jeweiligen Begriffssprache und der soziokulturellen Praxis, wie diese sich in lebensgeschichtlichen Erzählungen zeigt.

Der doppelten Problematik entspricht die Anlage der Arbeitstagung: Wir haben offenere Diskussionsformen erprobt, die Zugänge zu unterschiedlichen Begriffen, Wissenschaftskulturen und kulturellen Sinn-Universen erleichtert haben. Thematisch haben wir den Blick auf die jeweils verwendete Begriffssprache und ihren kulturellen Kontext konzentriert. Insgesamt hat uns die Frage geleitet, welche Professionalitätstypen mit welchem historisch-kulturellen Umfeld und mit welchen Gewinnen oder Verlusten sich in welcher Begriffssprache manifestieren und über kulturelle Grenzen hinweg zugänglich werden können.

2. Arbeitssituation:

Für die Arbeitstagung im September 2006 hatten wir in konventioneller Weise Texte vorbereitet und rechtzeitig vor der Tagung an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer verschickt, um so deren intensive Diskussionen zu ermöglichen. Damals hatte sich die Differenz der Diskussionskulturen deutlich gezeigt. Aus der Rückschau und im Vergleich zu den jetzigen Erfahrungen scheint u. a. eine Rolle gespielt zu haben, dass Texte vorgelegt wurden, die den Anschein des Fertigen hatten, so dass deren Diskussion mit dem Risiko des Gesichtsverlustes verbunden schien. Auch um diese mögliche interkulturelle Blockade zu mindern, haben wir dieses Mal bewusst Arbeitsvorlagen verabredet, die, manchmal in Skizzenform, deutlicher zur gemeinsamen Themenentwicklung und weiterführenden Diskussion eingeladen haben (und nach der Arbeitstagung, also mit deren diskursiven Gewinnen, ausgearbeitet werden sollen). Um dennoch die notwendige Substanz zu sichern, hatten wir vorab Texte zum verabredeten methodologisch-theoretischen Rahmen erstellt, für den wir uns schon im Vorfeld auf Arbeiten des „späten“ Foucault und auf seinen Leitbegriff des Dispositivs (englisch: apparatus) geeinigt hatten (vgl. Antrag vom …, S. …).

Der Zweck dieser Beiträge hat sich teilweise erfüllt, den Theorie- und Methodenrahmen, der uns 2006 geleitet hatte, über die Diskursebene hinaus auf das symbolische Ensemble von Vergesellschaftungsprozessen insgesamt auszurichten (auf das Dispositiv im Sinne Foucaults als die „heterogene Einheit, bestehend aus Diskursen, Institutionen, architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen, moralischen und philanthropischen Lehrsätzen, kurz Gesagtes ebenso wie Ungesagtes, das sind

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die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das man zwischen diesen Elementen herstellen kann“). In einigen Diskussionsvorlagen ist diese Orientierung dezidiert aufgenommen worden. In anderen Diskussionen hat sie vermutlich dazu beigetragen, mehr Analyse- und Interpretationsrisiken einzugehen, als bei einem engeren Theorierahmen wohl eingegangen worden wären.

Im Vergleich zur Arbeitstagung 2006 können wir festhalten, dass die Diskussionen der jetzigen Tagung lebendiger und fruchtbarer waren. Mit Blick auf die interkulturelle Konstellation ist vor allem hervorzuheben, dass immer wieder, und zwar auf der Ebene der empirischen Dokumente, auf die sich die Diskussionsvorlagen bezogen, fragliche Themen angegangen und diskutiert worden sind, an denen sich die kulturelle Verschiedenheit sowie der jeweilige Reichtum des Denkens zeigten. Allgemein lässt sich für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Taiwan eine stärkere Orientierung an Figuren des Zusammenkommens verschiedener Elemente und für die deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine stärkere Orientierung an begrifflich-analytischen Unterscheidungen festhalten. In allgemeiner Form ist dieser Befund natürlich wenig überraschend. Interessant sind allerdings die konkreten Diskussionen, weil sich in ihnen nachvollziehen ließ, wie komplexe Zusammenhänge angesprochen und entweder eher als Einheit des Verschiedenen oder eher mit Blick auf Einzelelemente und wirksame Faktoren gefasst werden. Dezidiert markieren lässt sich der Unterschied auf der Ebene von Konjunktionen und anderen linguistischen Mitteln textueller Kohärenz.

So fasste etwa einer der Kollegen aus Taiwan die Elemente, die zumindest in westlicher Wissenschaftskultur als heterogen, verschieden oder sogar gegensätzlich begriffen würden, als etwas, das „simultaneously“ wirke. Das Wort wurde zu einem Schlüsselwort, das viele Diskussionen der vier Symposientage getragen hat. Es hat offenbar eine Funktion, die Foucault einmal (in Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1973, 96) als Aufhängungspunkt einer Systematisierung charakterisiert hat, die nicht explizit systematisch wird. Deshalb sehen sich die deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer kraft der für sie wirksamen Systematisierungsnorm durch diese Diskussionen herausgefordert, die in „simultaneously“ angesprochene(n) Kohärenzvorstellung(en) zu denken – eine Herausforderung, die nochmals durch den Umstand erschwert wird, dass das englische „simultaneously“ nur ein Platzhalter für etwas ist, das in chinesischer Sprache im Zugleich des

Verschiedenen deshalb nicht aufgeht, weil auch die Vorstellung einer Gleichzeitigkeit des Verschiedenen in westlich-analytischem Denken gründet.

Doch es hat auch Diskussionen gegeben, in denen die deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Denkfiguren herausgefordert wurden, die über das analytisch-diskursive Denken hinausweisen, wie im thematischen Berichtsteil [2] skizziert werden soll. Ob und wie es uns gelingt, diese Entwürfe in der Erfindung neuer Diskurse überzeugend auszubuchstabieren und manifest werden zu lassen, wird sich erst in der konkreten Ausarbeitung der vorgelegten Textentwürfe im Anschluss an die Arbeitstagung erweisen.

3. Beiträge:

Auf der thematischen Ebene lässt sich das eben Gesagte vor allem an dem Text zeigen, der von taiwanesischer Seite als Eröffnungstext vorgelegt worden ist und großen Raum eingenommen hat, der Text „Dedication vs. Detachment or Monk vs. Monkey“ von Tsao-Lin Fong. Der Text hat überrascht. Er verbindet zwei Textsorten, deren eine im westlichen Rahmen wissenschaftlichen Arbeitens zwar Gegenstand sein kann, als wissenschaftliche Ausdrucksform aber kaum genutzt werden wird. Es ist eine Version einer klassischen chinesischen Novelle, die seit Jahrhunderten in vielen Variationen im chinesischen Kulturraum existiert. (In der westlichen Welt ist sie unter dem Titel „Monkey“ übersetzt und publiziert worden.) Sie ist eine fiktionale Entwicklungserzählung, die in Mythen- und Legendenform den Weg eines buddhistischen Mönchs nach Indien beschreibt, um heilige buddhistische Texte zu erlangen. Ohne im Einzelnen auf den Inhalt einzugehen ist hier festzuhalten, dass die Novelle kulturelle Archetypen versammelt, die, wie der Kollege aus Taiwan selbst überrascht feststellt, auch seine eigene professionelle, durch Hingabe und Ablösung bestimmte Entwicklung geprägt hätten.

Die Diskussion gilt zunächst dem Verständnis und der Interpretation.

Diskutiert wird dann die vorgestellte Interpretation des Kollegen, die Parallelität zwischen seiner individuellen, im Begriffspaar von Hingabe und Ablösung gefassten Entwicklung von den Schul- und Universitätsjahren in Taiwan über sein Auslandsstudium in Westeuropa zum pädagogischen Professionellen, dem Pädagogik-Professor an einer Universität Taiwans, und den „Archetypen“ der Novelle, die in den Mythen und Legenden zur Sprache

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kommen. Die Herausforderung für die Diskussion lag darin, dass professionelle Entwicklung eher als eine Art Emanation eben jener Archetypen zu begreifen sei. Der Entwicklung zum professionellen Pädagogen wurde also gleichsam eine verborgene Vernunft zugeschrieben, die sich aus dem anthropologisch-kulturellen Fundus speise.

Eine solche Vorstellung ist anderes als eine westliche Individualitätsfigur. Sie denkt den Einzelnen als eine Instanz, die über den Grund ihres Seins allen gleich Gegründeten ethisch-praktisch verbunden ist. Erziehung wird dann zu einer Praxis der Virtualisierung latenter Potentiale und Kräfte des vom Erzieher und von den Heranwachsenden geteilten Seinsgrundes. Das in westlichem Denken trotz der (scheinbaren) Nähe zu platonischen Denkfiguren schwer Zusammenzubringende wurde mit dem genannten „simulaneously“ zu plausibilisieren versucht. Der starke Impuls dieser Vorstellung liegt nicht zuletzt darin, dass sie das professionelle Selbstverständnis des Kollegen trägt, nämlich den ästhetischen Charakter pädagogischer Praxis, die sich archetypisch gegründet in dem verwirkliche, was er Paradigma nennt.

Man kommt dem Sinn des Vorgestellten vermutlich relativ nahe, wenn man die in der Novelle versammelten Mythen und Legenden als Metaphern in dem strengen Sinn versteht, dass sie einen Kosmos setzen, der sich – in der Sicht des Autors – einer direkteren Beschreibungssprache entzieht und deshalb in rhetorisch-ästhetischen Figuren zu verstehen zu geben ist.

Zwar war kulturelle Differenz am stärksten in der skizzierten Diskussionsvorlage und der anschließenden Diskussion wirksam. Aber auch in den Diskussionen zu den anderen Diskussionsvorlagen aus Taiwan war das aus westlicher Sicht Heterogene, in der Sicht der Taiwan-Kolleginnen und Kollegen „simultaneously“ Gegebene immer wieder Thema. In der Diskussionsvorlage von Shing Shiang Ting wird die professionelle Entwicklung des berühmten chinesischen Reformpädagogen Yuan-Pei Tsai (1868-1940) als Weg zwischen der Erneuerung chinesischer Kultur und dem Gewicht der vom Westen ausgehenden Modernisierung rekonstruiert: Global Cultural Transplantation or Local Generation: Dilemma and Choice of Pedagogical Reform of a Transformed Intellectual in Symbolic Universes of Pedagogical Professionalism. Was in der ersten Diskussion im Modus metaphorisch-mythologischer Redefiguren eher im Charme des Harmonischen erscheint, der die biographischen Untiefen und Risiken professioneller pädagogischer Entwicklung als versöhnte (?) in den Blick nimmt, tritt hier in der Form kulturpsychologischer Auslegung des biographischen Weges als Dualismus von westlich auferlegtem Modernisierungsimpetus und Selbstvergewisserung im Horizont chinesischer Tradition deutlich hervor. Aber wiederum wird nachdrücklich vertreten, dass die im Auslandsstudium (u. a. in

Deutschland) erfahrene Differenz der Welten in der Sicht des chinesischen Reformpädagogen nicht als Entweder-Oder zu verstehen sei, sondern als ein Zugleich, aus dem der Protagonist wesentliche Reformimpulse geschöpft habe.

Dem in der Diskussion geäußerten Verdacht, dass dieses Zugleich eventuell dem Umstand geschuldet sei, dass jener Reformpädagoge angesichts seiner relativ kurzen Aufenthaltsdauer in Europa und seiner vermutlich geringen Sprachkompetenz halber die Differenzen weniger wahrgenommen habe, wurde die Möglichkeit des Zugleich entgegengehalten und mit dem begründet, was in der konfuzianischen Tradition Qi heißt und als Einheit stiftende Aktivität (vgl. Chun-Chieh Huang, Konfuzianismus – Kontinuität und Entwicklung, Bielefeld 2009, 133 - 137) gedacht wird.

Im Rahmen westlich-analytischen Denkens fällt solche begriffliche Rekonstruktion schwer. Doch in der Figur des Zugleich wird die Kraft deutlich, die verschiedenste Anregungen und Einflüsse aufzunehmen erlaubt, ohne sich traumatisierender Entfremdung auszusetzen. Von dieser Einsicht aus wurde in der Rückschau auf die erste Diskussion die Funktion metaphorisch-mythischer Denk- und Redeweise nochmals klarer: Sie wurde als eine Form sichtbar, die den Willen trägt, einerseits in intensiver Aufnahme des Verschiedenen und Fremden und andererseits in der Rückbesinnung auf die eigenen Traditionen eine neue Kultur hervorzubringen. In sozialpsychologischer Hinsicht wird man vermuten können, dass jene Rede- und Denkweise ihre Wirkung entfalten kann, weil sie ihre Grundlage in einer Jahrtausende alten kulturellen Identität hat (China = das Reich der Mitte), die trotz der kränkenden Erfahrungen durch den „Opium-Krieg“ fortwirkt. Es wurden gut die „creative hermeneutics“ (Ting) des Erziehungsreformers Tsai, Yuan-Pei, erkennbar, seine Erfahrungen in Europa ohne Angst vor eigenen Identitätsverlusten für Reformen des chinesischen Erziehungswesens zu nutzen. Bedenkt man die traumatischen Blockaden, die Imperialismus und Kolonialisierung in vielen anderen Gesellschaften (z. B. in Afrika) hinterlassen haben, ist diese Haltung sehr hoch einzuschätzen.

Während der Kollege Ting ein historisches Beispiel aus China untersucht, konzentriert sich Ming Shiang Ni auf ein zeitgenössisches Beispiel aus Taiwan, Prof. Ma (Pseudonym), der an einer Universität in Taipeh Erziehungswissenschaft und Bildungsphilosophie lehrt. Frau Ni nimmt den Foucaultschen Theorierahmen des Dispositivs im Blick auf die politischen Umwälzungen Taiwans vom Kriegsrecht zur Demokratie und auf die Nutzung der neu gewonnenen Spielräume gesellschaftlich-politischen Handelns durch Individuen auf. Die Pointe ihrer Analyse liegt darin, dass sie die Wirkung der politischen Rahmenbedingungen und der individuellen Lebensbedingungen des Prof. Ma auf der Ebene seines konkreten Lebenszusammenhangs nachzeichnet. So wird z.B. sichtbar, dass die gewonnene politische Freiheit ihre Dynamik dadurch entwickelt, dass sie einerseits dem Willen des Vaters Raum gibt und dass andererseits der Vaterwille dem Sohn, dem späteren Prof.

Ma, aufträgt, ein Auslandsstudium in Deutschland durchzuführen und dessen Ertrag für die weitere Entwicklung der taiwanesischen Gesellschaft nutzbar zu machen. So erscheint der Vaterwunsch zugleich – „simultaneously“ – als familiäres Moment und als lebensgeschichtlich-individuelle Gestalt im großen politischen Umbruch.

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Strukturell ähnlich verfährt auch die von Hsin-Yi Huang vorgestellte Analyse einer Kindergärtnerin, die nach einem krisenreichen lebensgeschichtlichen Weg endlich den Zugang zum jetzt ausgeübten Beruf findet. Das Besondere dieses Beispiels liegt darin, dass sich hier eine Frau seit ihren Highschool-Tagen Erwartungen ihrer sozialen Umwelt – Familie, Lehrer – ausgesetzt sieht, die zu kritisieren oder zurückzuweisen ihr im gegebenen Rahmen in dem substantiellen Sinn nicht möglich ist, weil ihr im Rahmen des gegebenen Dispositivs eine Diskursformation nicht verfügbar ist, die eine solche Differenz zu artikulieren erlaubt hätte. Die Diskussion zeigte, dass dies nicht als individuelles Problem gesehen werden darf. Aus kulturinterner Sicht wurde vielmehr betont, dass die an sie herangetragenen Erwartungen das seien, was letztlich ihr eigenes wie das allgemeine Wohl trage. An solchen Stellen wird der oben angedeutete kulturelle Unterschied konkret. Was im analysierten Beispiel letztlich im Sinne des Verschiedenen in der Einheit gelebt wird, würde in einem westeuropäischen Milieu, das von der sozialen Schicht her dem des Beispielsnahe ist, vermutlich irgendwann in einen offenen Konflikt führen.

Wie schon angedeutet spiegeln die Beiträge der deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der Orientierung an begrifflichen Abgrenzungen eine Wissenschaftskultur, die vor allem von Analyse, Definition und der Rekonstruktion von Wirkungsgefügen bestimmt ist. Damit operieren sie auf einem anderen Feld des Sagbaren als die Beiträge aus Taiwan. Sie bestätigen die Foucaultsche These, dass konkrete Erkenntnisprozesse stets (auch) Funktionen kulturspezifischer Diskurse sind.

Ob der in der Vorbereitung der Tagung entworfene und in mehreren Arbeitstexten vorgelegte Theorierahmen des Foucaultschen Dispositivs helfen kann, die Verständigungsschwierigkeiten abzubauen, die aus der Differenz der Wissenschaftskulturen resultieren, lässt sich vermutlich erst nach Vorlage der ausgearbeiteten Einzelbeiträge absehen. Denn in mündlichen Diskussionen können Unterschiede des Verstehens von einer semantischen Vagheit gemildert werden, die prosodisch annehmbar gemacht wird.

Verstanden hatten wir den Rahmen des Dispositivs als ein formalstrukturelles, aber offenes Begriffssystem, das erlaubt, auch verschiedene kulturelle

„Tiefenstrukturen“ zu artikulieren. Die Beiträge der deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer versuchen in unterschiedlicher Weise, diesem Interesse zu dienen. Allen Beiträgen gemeinsam ist aber das im Antrag genannte Vorgehen, die Dokumente der 2006-er Tagung einer Re-Analyse zu unterziehen, die auf den Dispositiv-Rahmen hin erweitert ist. Das führt zu der Konsequenz, dass sich kulturelle Besonderheiten, statt direkt angesprochen zu

werden, eher in methodologischen Diskussionen spiegeln.

In seinem Beitrag verweist Rainer Kokemohr zunächst auf den diskursanalytischen Zuschnitt seiner 2006-er Analysen, bevor er in den erweiterten Dispositiv-Rahmen eintritt. Während in der früheren Fassung jeweils ein dominanter Diskurstyp pädagogischer Professionalität und seine Funktion herausgearbeitet wurden, stellt er jetzt einige Stränge des komplexeren Geflechts dar, die als historisch dominante Diskurse praktisch pädagogischen oder erziehungswissenschaftlichen, aber auch allgemein gesellschaftspolitischen Denkens und Handelns den Hintergrund bilden, der die individuellen Diskurse „trägt“. Sofern diese Diskursstränge immer auch mit Regelungen gesellschaftlicher Praxen, mit Gesetzgebung, mit dem Auf-, Aus- oder Umbau von Bildungssystemen, mit architektonischen Veränderungen sowie mit veränderten Interaktionsstrukturen und Diskussions-kulturen verbunden sind, kommen in ihnen heterogene Dispositiv-Elemente im Sinne Foucaults zur Geltung. Beispiele sind der romantische Diskurs pädagogischen Denkens und Handelns, der mit dem Umbau der Feudal- in die bürgerliche Gesellschaft manifest geworden ist, die jenen Diskurs fortführende Reformpädagogik nach 1900 oder schulische und universitäre Reformimpulse nach 1968. In den Diskursen der Protagonisten selbst werden diese Hintergründe in verschiedenen semantisch-syntaktischen Formen angedeutet.

So lassen sich die Diskurse als Bündelungen verschiedener Themen- und Auffassungsquellen lesen, die den Erzählungen der individuellen Lebensgeschichten in Familie, Ausbildung und Beruf als Deutungskontexte assoziiert werden können. Da sich naturgemäß aber keine definiten Wirkketten rekonstruieren lassen, kommt die Analyse- und Interpretationssprache hier an ihre Grenze. Deshalb werden begriffliche Fassungen notwendig, die auf der Ebene konkreter Analyse die Einheit des Verschiedenen als Formationssystem ansprechen und strukturell dem ähneln, was in den Vorlagen der taiwanesischen Kolleginnen und Kollegen offener zu Tage tritt. Der hier gemachte Vorschlag, konkrete Diskurse selbst als Manifestationen heterogener und z. T. auch heteronomer Dispositiv-Momente zu sehen, wird im Rahmen der Ausarbeitung der Diskussionsvorlage weiter zu prüfen sein.

Das genannte methodologische Problem nehmen in abgewandelter Form auch die Beiträge von Hans-Christoph Koller und von Susanne Umbach auf. Auch sie reanalysieren die 2006-er Beiträge. Sie versuchen, sich dem Dispositionskonzept durch eine Ausweitung der Diskursanalyse anzunähern.

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Koller tut dies mit Rückgriff auf Hayden Whites Vorschlag, verschiedene historisch bestimmte Diskurstypen zu unterscheiden und die untersuchten lebensgeschichtlichen Erzählungen als deren individuelle Ausprägung zu deuten. Das bringt Erkenntnisgewinne im Bezug auf historisch-kulturspezifische Diskurstypen, die die individuellen Diskurse der Beispiel-Protagonisten stützen. Das fragliche methodologische Problem tritt jedoch in der Form auf, dass Whites allgemein formulierte Diskurstypen im Blick auf konkrete Erzählungen (bzw. deren Transkriptionen) bisher kaum in linguistisch validen Analysen zu entfalten sind, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Begriffe, die die Einheit des Verschiedenen – hier: in der Form allgemeiner Diskurstypen – fassen, zwar sinnvoll sein könne, dass aber eine detaillierte Analyse insbesondere in interkultureller Vergleichbarkeit sich von Whites modes of emplotment zwar anregen lassen kann, aber weiterer Vermittlungsschritte zur soziokulturell empirischen Ebene bedarf. Zu klären bleibt hier, wie sich eine solche erweiterte Diskursanalyse zu den Ebenen des sprachlichen Systems, des sprachlichen Handelns oder der sozialen Praxis als Ebenen historisch-kultureller Vergesellschaftungsprozesse verhält.

Umbach fragt nach diskursiven Strukturtypen, die den Hintergrund auch für

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