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Die Bedeutung der Taiwanstudien in der modernen Sinologie

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Academic year: 2021

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Nr. 05 Mai 2009 kostenlos

DianMo – Zeitung Leipziger Sinologie-Studenten

Kulturspezial

Taiwan

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Im Focus Michael Rudolph – Rituale als authentisierende Praktiken? Erlebnisbericht Jacob Tischer – Reminiszenzen aus Taiwan Im Vergleich David Reid – A comparison of transitional justice in

Taiwan and East Germany

Alumni-Bericht Linus Schlüter – Inselkind bleibt wohl Inselkind Auf ein Wort! Peng Li-chung – Die Bedeutung der Taiwanstudien

in der modernen Sinologie

Filmrezension Das taiwanesische Paris Wortspüle

Taiwanstudien Das Wiener Zentrum für Taiwanstudien

Saitenhieb Hsieh Ho-Ming – Come On Live Young – Band-Sounds in Taiwan heute

FolkArt Der Mazu-Kult

Erlebnisbericht Dominik Eggert – Don’t forget to buckle up – immer

schön zuschnallen!

Hintergrund Jeffrey W. Campbell – Reviving Ethnic Diversity Taiwanese Landscape

VERSiert

Abgehauen! Sylvia Pollex & Thomas Rötting – Einmal rum um

Taiwan

Kommentar Bo Yang über die Schönheit der Chinesen Abgehauen! Kristin Unger – Tempel, Tee und Technik Ohne Kommentar!

Impressum

Warum eine Taiwan-Ausgabe?

23. Provinz der VR China, das „andere“ China oder der Staat Taiwan ohne Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen. Die Gemeinsamkeit dieser schlagwortartigen Charakterisierungen liegen auf der Hand: eine rein politische Wahrnehmung eines Landes, welches mit einer ungemein reichhaltigen kulturellen Ausstrahlung aufwartet, die jedoch in der nichtwissenschaftlichen Berichterstattung kaum Platz findet.

Soviel sei vorweggenommen: die politische Zugehörigkeit Taiwans können wir an dieser Stelle nicht klären. Sie soll deswegen auch nicht im Mittelpunkt dieser Spezial-Ausgabe stehen.

Das Korsett, in das Taiwan und seine Menschen immer wieder hineingepresst werden, wird ihrer Vielseitigkeit nicht gerecht. Es ist daher unser Anliegen, dieses Korsett abzustreifen und einen differenzierten Blick auf Taiwan zu wagen.

Uns ist natürlich bewusst, dass jede Auswahl und Zusammenstellung von Artikeln über Taiwan dem Blick der Auswählenden folgt. Würde man der Frage bis zu ihrer Wurzel nach-gehen, so stieße man unweigerlich auf das Problem: Wie unabhängig, neutral und objektiv kann ein Mensch überhaupt handeln bzw. (in unserem Fall) schreiben?

Die vorliegende Ausgabe soll nun ein Versuch sein, eine Wahrnehmung Taiwans fern von jedweder politischen Inanspruchnahme kulturell zu konturieren. Wir hoffen sehr, damit einen kleinen Beitrag zu einer differenzierteren westlichen Wahrnehmung Taiwans und seiner vielseitigen und umfangreichen Kultur leisten zu können.

In diesem Sinne:

Viel Spaß beim Schmökern! Frank Andreß & Jacob Tischer

Intro

Inhalt

4 9 14 16 18 24 26 27 29 32 36 38 42 43 44 46 48 51 52

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der es nicht zuletzt um die Definition Taiwans als eigenständige kulturelle Entität ging, wurde das vorhandene Kulturgut einer intensiven Prüfung unterzogen. Nach vier Jahrhunderten sukzessiver Beherrschung durch äußere Mächte (Spanien, Holland, China, Japan sowie durch die nach 1945 mit Chiang Kai-shek auf die Insel geflüchteten 'Festländer') war dies keine leichte Aufgabe. Als die älteste Bevölkerungsgruppe Taiwans verkörperten allerdings gerade die Ureinwohner ein gewis-ses Maß an ‚Authentizität’ – eine Erkenntnis, die ihnen und ihren Kulturen in den nachfolgenden Jahren eine nie da gewesene Popularität und Unterstützung einbrachte. Hatten sie noch bis Ende der 80er Jahre zu einer der am meisten verachteten Bevölkerungsgruppen gehört, wurden ihre kulturellen Traditionen nun einschließlich ihrer Sprachen und Rituale von Regierungsseite gefördert, und es setzte ein reger Tourismus von Han-Chinesen in die Ureinwohner-Stammesgebiete ein.

Die hier beschriebene Entwicklung setzte eine ungeheure Kreativität bei der Regenerierung und Generierung kultureller Traditionen in Gang: Besonders im Rahmen der Mitte der 1990er Jahre einsetzenden multi-kultura-listischen Politik Taiwans wurden letztere nun zu einem wichtigen Legitimationswerkzeug im Ressourcenwettkampf. Auch solche Traditionen, die aufgrund der Veränderung des Lebenszusammenhangs bereits lange aufgegeben oder vernachlässigt worden waren, gelangten in diesem Zuge zu neuer Bedeutung. Wie die beiden oben geschil-derten Beispiele allerdings bereits erkennen ließen, erschöpfte sich diese neue Bedeutung keineswegs allein in der Anziehung materieller Zuwendungen: Eine weitere wichtige Bedeutung schienen die hier in einem neuen Kontext wiederbelebten Traditionen auch bei der Identitätsformation, z.B. bei der Formierung

eines neuen positiven Selbstverständnisses der Ureinwohner gegenüber Taiwans Han zu haben. Wie waren diese alten und neuen Traditionen also in den jeweiligen gesellschaft-lichen Zusammenhang eingebettet, und welche soziale und u.U. auch religiöse Wirk-samkeit besaßen sie innerhalb der einzelnen kulturellen Gemeinschaft?

Zur Beleuchtung dieser Frage möchte ich hier kurz auf zwei Untersuchungen eingehen, die ich in den Jahren 2001 bis 2003 in den Stäm-men zweier unterschiedlicher Ureinwohner-Ethnien Taiwans durchführte. Im ersten Fall handelt es sich um die Revitalisierung kollektiver Ahnengötter-Rituale bei den im Osten der Insel lebenden Taroko, einer Subethnie der Atayal, deren ethnische Eliten um offizielle Anerkennung als von den Atayal unabhängige Ethnie ringen.

Aufgrund der engen Beziehung zur einst von den Ahnengöttern geforderten Kopfjagd war das kollektive Praktizieren von Ahnengötter-Ritualen bereits während der japanischen Kolonialherrschaft verboten worden. Nach der Kapitulation der Japaner 1945 machte dann die Ausbreitung des Christentums in den Berggebieten eine Revitalisierung dieser Rituale unmöglich, so dass die Taroko – genauso wie übrigens die Atayal, die als zweit-größte Ureinwohner-Ethnie staatliche Anerkennung genießen – bis Ende der 90er Jahre keine kollektiven Rituale mehr besaßen. Ein Zusammenschluss lokaler Politiker und Bildungseliten sorgte schließlich dafür, dass 1999 wieder ein kollektives und sogar stammesübergreifendes Ahnengötter-Ritual mit der Unterstützung lokaler Regierungs-stellen abgehalten werden konnte – eine Praxis, die von nun an jährlich wiederholt werden sollte. Das Argument dabei lautete, dass die meisten anderen Ethnien solche kollektiven Jahresrituale besäßen und dass übergreifende Taroko-Identität letztend-Im Frühjahr 2002 wurden der Norden und der

Westen des sonst so regenreichen Taiwans von einer ungewohnt langen Dürreperiode heimgesucht: Im Mai stand der Wasserpegel der Stauseen so tief, dass die Regierung Einschränkungen bei der Wasserzufuhr für die Landwirtschaft ankündigte. In dieser Zeit der allgemeinen Not sahen sich Taiwans Ureinwohner, die nicht einmal 2% der zum größten Teil aus Han-Chinesen bestehenden Inselbevölkerung ausmachen, zum gemein-samen Handeln verpflichtet: Am 17. Mai 2002 rief der der Zentralregierung unterstehende

Council of Aboriginal Affairs alle

austronesischen Ethnien Taiwans zum Abhalten traditioneller ‚Regenrituale’ auf. Selbst in jenen Teilen der Insel, die nicht von der Dürre betroffen waren – hierzu zählten besonders das Zentralmassiv und der Osten der Insel – brachten Ureinwohner unterschiedlicher Ethnien nun die seit vielen Jahrzehnten ver-gessenen und verschütteten Rituale wieder zur Aufführung.

Angesichts des Umstandes, dass heute über 80% von Taiwans Ureinwohnern christianisiert sind, wirkte die hier beschriebene Initiative im für Hightech und modernste Hochhaus-Architektur bekannten Taiwan einigermaßen grotesk. Dabei handelte es sich allerdings keineswegs um einen Einzelfall. Gerade einige Monate zuvor war es in Hualian an der Ostküste anlässlich einer nicht abreißenden

Serie von Unglücksfällen auf einem städtischen Sportplatz zu einer ähnlichen Initiative der hier lebenden Ami gekommen: Auf die Bitte der Lokalregierung hin kehrten Medien dieser größten Ureinwohner-Ethnie Taiwans mit Büscheln aus Ingwerblättern das gesamte Sportplatzgelände von jenen unzufriedenen Geistern frei, die sich hier seit der massen-haften Besiedlung und Okkupation der Region durch Han 100 Jahre zuvor angesiedelt hatten. Trotz der leicht subversiven Untertöne beider Rituale – im Falle der Regenrituale etwa flehten Ureinwohner-Medien übernatürliche Kräfte an, ihnen ihr erzwungenes Zusammen-leben mit den Han noch einmal zu verzeihen und sie dennoch mit dem lang ersehnten Nass zu versorgen – wurde der Einsatz der Ureinwohner von den zuständigen Regierungs-stellen reich belohnt.

Die Hintergründe und jeweiligen Beweggründe bei der hier beschriebenen Interaktion von Ureinwohnern und Han in Taiwan werden bei einem kurzen Blick auf die politischen Rahmenbedingungen klarer. Um der drohen-den Inkorporation durch das kommunistische China entgegenzuwirken, war man in der abtrünnigen ‚chinesischen Provinz’ seit Beginn der 90er Jahre zunehmend um eine Emanzipation von festländischen Einflüssen bemüht. Im Rahmen der sich in diesem Prozess ausbildenden nativistischen Bewegung, bei

Im Focus

Im Focus

Rituale als authentisierende Praktiken?

Die Rituale von Taiwans Austronesiern im Spannungsfeld von

Nativismus, Christentum und Elitenwettbewerb

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Ritualen der Ami in sehr ähnlicher Weise wieder-finden. Anders als offiziell meist propa-giert, stellen die so genannten ‚Jahresernte-feste’ der Ami keine ‚ungebrochene’ Tradition dar, auch wenn traditionelle Elemente wie etwa die Verehrung überirdischer Mächte oder auch der gemeinsame Tanz und Gesang nach wie vor in den Ritualen enthalten sind. Wie die Untersuchung des Erntefestes in Taibalang – einem der größten Ami-Stämme an Taiwans Ostküste – zeigte, hat sich der Inhalt heute stark an die Erfordernisse der christlichen und modernen Lebenswelt der Ami angepasst. So werden bei der formal ‚traditionell’ gestalteten Ahnenehrung tatsächlich nicht wie einst Ahnengötter, son-dern ein christlicher Gott verehrt, und beim rituellen Tanz und Gesang sind heute anders als früher Frauen nicht nur zugelassen, sondern sogar in der Mehrzahl. Im Zeichen des ganz-taiwanesischen Nativismus erstarken heute allerdings auch wieder alternative Kultur- und Religionsvorstellungen, die wie bei den Taroko auch bei den Ami parallel zum Christentum noch latent vorhanden sind. Lokalpolitiker unterschiedlicher Couleur versuchen diese Ambivalenz in der kulturellen Identität der Menschen durch besondere Akzentuierung der rituellen Symbole während der Rituale oder wie im oben erwähnten Falle durch Reframing des Rituals für ihre Zwecke zu nutzen. So lief bei dem von mir

beobachteten Fest 2003 der offiziellen, von christlichen Eliten in Zusammenarbeit mit einem Lokalpolitiker organisierten

Ahnenehrung eine von einem oppositionellen Lokalpolitiker initiierte schamanische Ahnen-götterverehrung voraus, womit die ganze nachfolgende Veranstaltung nicht nur in ein neues Licht gesetzt wurde, sondern auch das Feld für Diskussionen über das richtige Verhältnis von Tradition und Religion eröffnet wurde. Tatsächlich steht der hier beobachtete politische Aktionismus allerdings mit einer die ganze Ami-Gesellschaft betreffenden ökonomischen Frage in engem Zusammenhang:

So fragt man sich heute, ob der Erhalt und die Revitalisierung authentischer Ami-Kultur nicht eventuell auch die Erschließung von Tourismus-Ressourcen erleichtern könnte, in einer Zeit, in der bei wachsender Konkurrenz von Gastarbeitern aus Südostasien immer mehr Ureinwohner in die Stämme zurückge-drängt werden. Und gerade bei diesem neuen Problem kann einem auch das Christentum – eine Religion, die jahrzehntelang als wichtige moralische und psychische Stütze gegenüber der Han-Gesellschaft gedient hatte – nur wenig helfen. Stattdessen bieten sich heute auch die indigenen Traditionen immer mehr wieder zur Unterstützung eines positiven

Selbstverständnisses an. Wie im Falle der Taroko-Rituale wird auch bei den Ami-Ernte-festen auf eine Reihe die Ami von den Han unterscheidenden positiven Tugenden hingewiesen. Hierzu zählen neben Solidarität und Gemeinsinn besonders Disziplin und Ordnung – herausstehende Charakteristika des stark hierarchisch strukturierten Gesellschaftssystems der Ami, die heute be-sonders noch während der Erntefeste zum Tragen kommen.

Die hier in Taiwan gewonnenen Erkenntnisse deuten auf die wichtige Rolle hin, die rituelle Performanzen nicht nur bei der Artikulation, sondern auch bei der Bildung soziokultureller Identität spielen können. Wie wir sahen, wird Identität in den geschilderten Beispielen auf mehreren Ebenen verhandelt. Individuen mit zum Teil sehr unterschiedlichen kulturellen, religiösen, parteipolitischen oder auch geschlechterspezifischen Zuordnungen ver-suchen sich im Rahmen dieser ‚Events’ auf einen größtmöglichen gemeinsamen Nenner zu einigen. Hierbei spielen auf der einen Seite handfeste materielle und ökonomische Interessen sowie psychologische Bedürfnisse eine wichtige Rolle. Auf der anderen Seite wird die Perzeption in diesem Prozess durch eine Reihe übergeordneter, gesellschaftlicher Dispositionen entscheidend vorstrukturiert. lich auch nur so konsolidiert werden könne.

Das revitalisierte Musterritual selber, für dessen Rekonstruktion man auf japanische Quellen zurückgegriffen hatte, bestand aus traditionellen wie aus neuen Elementen. Sein wichtigstes Merkmal war, dass einzelne mit dem traditionellen Ritual im Zusammenhang stehende Sequenzen, die einst mehrere Tage lang gedauert hatten, wie in einem Zeitraffer zu einer Stunde zusammengefasst worden waren. Zentrales Element war dabei das Blutopfer vor der Jagd: Ein Huhn ließ man nach einem Kehlschnitt lebend ausbluten, danach wurde das Blut, das der traditionellen Vorstellung gemäß überirdische Kraft enthielt und zukünftigen Sieg und Erfolg symbolisierte, auf Waffen und andere Gegenstände gestrichen. Das hier in seinen Grundzügen beschriebene Ahnengötter-Ritual wurde bis 2001 dreimal bei stammesübergreifenden Festen aufgeführt, danach wurde es von anderen Formen kollektiver Rituale – i.e., eher theatralen Aufführungen von Kopfjagdritualen oder auch Hochzeitsritualen, die von kirch-lichen Eliten inszeniert wurden - verdrängt. Wichtig für das Verständnis der Aufgabe kollektiver Ahnengötteropfer hier ist, dass ähnliche Opfer im Familienzusammenhang heute durchaus noch durchgeführt werden. Anlass für diese privaten Rituale ist in der Regel der Wunsch nach einer Mehrung phy-sischer Kraft oder nach Versöhnung der Ahnengötter, die unabhängig vom Christentum und als ‚Aberglauben’ gebrandmarkt für die meisten Taroko noch immer eine Rolle spielen. Das kollektive Abhalten solcher Rituale indes war in der Gegenwartskultur der Taroko bislang nicht üblich gewesen – einerseits aufgrund der Furcht vor einer Verletzung reli-giöser Regeln, andererseits aber auch, weil die heute nach den Umsiedlungskampagnen der Japaner in zusammen gewürfelten Stämmen lebenden Taroko gar nicht mehr auf gemeinsame Ahnengötter zurückgreifen können. Besonders von Seiten der

überzeug-teren Anhänger der christlichen Religion setzte im Anschluss an die Rituale stets eine heftige Kritik ein, bei der nicht zuletzt auch die Sorge geäußert wurde, dass weniger gefestigte Mitglieder der Gemeinschaft auf religiöse Ab-wege geraten könnten. Bei zwei Aufführungen ergriff ein christlicher Geistlicher sogar die Initiative und fungierte als Ritualleiter, der während des Blutopfers wenig

missverständlich zu einem christlichen Gott betete und dem Ritual so eine von den Veranstaltern nicht intendierte Rahmung ver-schaffte.

Festzuhalten ist hier also, dass die seit 1999 wiederaufgeführten kollektiven Rituale nicht nur (1) ein Mittel im Wettbewerb zwischen politischen und klerikalen Eliten darstellten, die beim gemeinsamen Ziel der ethnischen Authentisierung die Betrauung mit den Insze-nierungsrechten zur Akkumulation eigenen symbolischen Kapitals nutzten, sondern auch (2) zu einer Schnittstelle bei der

gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die kulturelle und religiöse Identität der Taroko wurden. (3) Ungeachtet ob im Falle der Blutopfer oder auch der alternativen Rituale, enthielt jede der Performanzen darüber hinaus aber auch Elemente, die eine deutliche Abgrenzung der Ureinwohner- gegenüber der Han-Kultur zum Ausdruck brachten. Während der Blutopfer etwa wurde in einem Falle rohe Schweineleber, deren ritueller Verzehr bei den Taroko eine lebendige Tradition darstellt, auch an eingeladene Han-Zuschauer verteilt, die in dieser Situation mit denkbar großer Verlegenheit reagierten. Im Falle der und Hochzeitsrituale dagegen wurde explizit auf die mutige und glorreiche Vergangenheit der Taroko sowie auf ihren großen und Kollektivsinn oder auch auf die Schönheit der aufgemalten (von den Han einst diskriminierten) Gesichtstätowierungen hingewiesen.

Alle drei hier erwähnten Wesenszüge lassen sich auch bei den zeitgenössischen kollektiven

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König der Dächer

Als ich gestern Abend über das Dach unseres Wohnheimes schlich, gaben die Bodenplatten nach. Jede ein wenig, manche ein wenig mehr. Sie scheinen nur lose aufgelegt zu sein. Manches ist nur Erinnerung, doch Erinnerung ist lebendig und geduldig.

Die rooftops von Flogsta. Und die Jugend, die auf ihnen in vollen Zügen genossen und verschwendet wurde. Alkoholgeschwängerte Freundschaft an lauen Sommerabenden. Durchwachte Nächte, in denen sich keine Sonne zur Ruhe legen würde. Schweden war ein vollkommen anderer Traum.

Doch so vieles trennt das Hier vom Jetzt und vom Damals. Keine Seele auf dem Dach eines keineswegs einsamen Wohnheimes auf dem Campus der Fu Jen-Universität. Ringsum Dunkelheit. Feuchte in der Luft. Die Schatten der Berge dort erkennbar, wo sie von Lichtern ausgemalt werden.

Die Insel Taiwan wird vom nördlichen Wendekreis quer geschnitten, deswegen gibt es keine Jahreszeiten, wie wir sie kennen. Die Sonne arbeitet mit der Genauigkeit eines Uhrwerkes, morgens halb sechs steigt sie, um sechs desselben Abends legt sie sich schlafen. Das Wetter ist angenehmer geworden. Mit tagsüber jetzt etwa 27 Grad ist es nicht mehr gar so heiß, und den Großteil der Tage versteckt ein dichter Vorhang von Wolken die Hitze der Sonne. Diese Wolken sind der Fluch des Nordens der Insel. Sie bestärken nur den Eindruck des Grau in Grau. Stadtwüste. Raus aus der Stadt in das andere, das traumhaft schöne Taiwan. - Ich weiß nicht, wie groß Taipei nun wirklich ist, aber es ist groß genug. Oder Taiwan ist zu klein für eine solche Vielzahl von Menschen. Nur zum Vergleich: Auf der Größe Baden-Württembergs bietet es etwa 23 Millionen Menschen ein Zuhause.

Es war der letzte Tag des Europäischen Film-festivals in Taipei, und Maxime, der Belgier aus meinem dormitory und ich manövrierten auf einem Nachtmarkt zwischen Ständen mit Hühnerfüßen, Hühnerfüßen und Stinktofu hindurch. So richtig "Nacht" ist ja eigentlich nie, um 12 schon ist Schluss und bis dahin ist es dank Dauerbeleuchtung heller als am Tag. Die meisten Läden haben sowieso bis gegen 11 offen. Meist ist ein Geschäft auch nur ein der Straße zugeneigter Raum einer Erdgeschoßwohnung; solange man nicht schlafen geht, kann man also genauso gut Geschäfte machen. Auch das eine

Gegebenheit, deren Wohnlichkeit mir absolut nicht aufgehen mag: Ein Wohnzimmer kann gleichzeitig Garage und Werkstatt sein, und jeder, der vorbeigeht, schaut mit rein oder fern.

Vielleicht trägt jener Umstand, dass wir uns den schwedischen Film "The Guy in the Grave Next Door" genehmigten, zu meiner abend-lichen Uppsala-reflektierenden Stimmung bei. Es war ein Stück Heimat, diese schöne, fröhliche Sprache zu hören. Doch Heimat ist hier und jetzt, soll sie nicht bloße Melancholie bleiben. Im Anschluss an den Film drückten wir uns die Nasen an Schaufenstern von Hierzu gehört zunächst der eingeschränkte

Zugang zu den ‚eigenen’ – den indigenen – kulturellen Traditionen, die stark von christlichen und chinesischen Einflüssen über-lagert sind und meist überhaupt nur noch in den anthropologischen Materialen aus der japanischen Kolonialzeit (1895-1945) recherchierbar sind. Ein anderer Parameter, der dafür verantwortlich ist, dass das Selbst nur noch über den anderen gespiegelt wahrgenommen werden kann, sind Taiwans Nativismus und die hiermit einhergehende Politik der Anerkennung. So hat man sich heute den ursprünglich von han-chinesischen Intellektuellen initiierten Aufruf zur Emanzipation gegenüber kolonialen Kräften allgemein zu eigen gemacht, eine Maßgabe, die letztendlich nicht nur eine Abgrenzung gegenüber den Han, sondern auch gegenüber dem Christentum impliziert. Auffällig ist dabei allerdings, dass die Behauptung von Differenz sehr selektiv und meist genau im Einklang mit den von der Majoritätsgesellschaft

vorgegebenen bzw. favorisierten Kategorien erfolgt. Dies schließt selbst jene ‚Untertöne’ von Subversivität mit ein, auf die ich in meinen anfänglichen Beispielen hindeutete und die heute bei fast allen kollektiven Ritualen der Ureinwohner beobachtbar sind. Denn gerade diese Elemente werden in intellektuellen Kreisen der Han als ‚Zeichen’ der wieder-kehrenden ‚Ureinwohner-Subjektivität–‚ und letztendlich ‚Authentizität’ beschworen und lobend hervorgehoben.

Bei dem vorliegenden Essay handelt es sich um eine erweiterte Fassung des im Januar 2004 im Journal Ethnologie veröffentlichten Artikels „Zurück zu den Wurzeln“.

Literatur:

Rudolph, Michael: Taiwans multi-ethnische Gesellschaft und die Bewegung der Ureinwohner - Assimilation oder kulturelle Revitalisierung? Hamburg/Münster: LIT 2003. ders.: (ed. with K-P. Köpping und B. Leistle): Ritual and Identity: Performative Practices as Effective Transformations of Social Reality. Hamburg/Münster/London: LIT (Reihe: Performanzen/Performances) 2006. ders.: Ritual Performances as Authenticating Practices: Cultural Representations of Taiwan’s Aborigines in Times of Political Change Hamburg/Münster/London: LIT (Reihe: Performanzen/Performances) 2008.

Im Focus

Erlebnisbericht

Michael Rudolph ist Professor für chinesische Sprache und Kultur an der Süddänischen Universität/ Campus Soenderborg. Von 2002 bis 2007 war Rudolph Mitglied des Sonderforschungsbereichs

„Ritualdynamik“ an der Universität

Heidelberg. In dem am Institut für Ethnologie angesiedelten Teilprojekt

„Dynamik und Effizienz ritueller Performanz und die Konstituierung soziokultureller Identität in Taiwan und Marokko“ widmete er sich der

Erforschung von Identitätsbildungs-prozessen bei Taiwans malayo-polynesischen Ureinwohnern und der Artikulation und Transformation von Identität in den Ritualen der Minoritätsgesellschaften.

Reminiszenzen aus Taiwan

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das Hier und das Jetzt, es ist genau der richtige Ort, um zu sein, um ich zu sein, um nicht in Deutschland zu sein. Die Welt ist klein, aber wir sind noch viel kleiner. Und letztlich sind Menschen überall Menschen, im Grunde ihres Herzens teilen sie dasselbe Erbe und hat man dies erkannt, lässt es sich an jedem Ort dieser Welt leben, mit einem offenen Herz und Geist, und wir lernen, die Welt zu entdecken und für ihre Schönheit zu lieben.

Er hätte mit einem Lächeln zugestimmt. Vielleicht wurzelt meine Unsicherheit aber auch in einer unterbewussten tieferen Unsicherheit meiner Umgebung. Denn eigentlich ist es Taiwan, das über seiner Iden-tität gespalten ist. Das heißt, allgemein herrscht große Einigkeit darüber, dass Taiwan Taiwan ist. Und natürlich ist es ein eigener Staat mit seinen kulturellen und

geographischen Besonderheiten. Nur scheinen seine Bewohner Angst vor der eigenen Courage zu haben. Ihre Existenz ist prekär, jeder in der Politik weiß das, wenige sehen darin ein Unrecht, kaum jemand tut etwas dagegen. So ähnlich gilt das auch für Taiwan selbst. Die Inselbewohner sind seit Jahren vor allem auf sich selbst fokussiert, da die Frage ihrer politischen Zugehörigkeit immer wieder neu zur Debatte steht, ganz besonders seit der Rückkehr ihres großen Nachbarn in den Kreis der wirklich wichtigen Akteure im Machtspiel des globalen Staaten- und Konzernsystems. Im Hinblick auf die Indigenisierungstendenzen finde ich unerklärlich, dass selbst der legitima-torische Rückgriff auf das Mitbestimmungsrecht der Ureinwohner nicht bis zu seinem logischen Schluss gezogen wird: Dass selbst diese nicht der Erde entwachsen, sondern vor

globalhistorisch nicht allzu langer Zeit einmal eingewandert sind – vermutlich vor 8000 Jahren – und es letztlich überhaupt keinen Anspruch irgendeiner menschlichen Bevölkerungsgruppe auf „ihr“ Land geben kann! Wenn überhaupt, sei das Land dem zugestanden, der eine intime Verbindung dazu hat, nicht dem, der es ausbluten und der

Verwesung anheimfallen lässt, wie es z.B. das KMT-Besatzungsregime jahrzehntelang unter blinder Zustimmung der „freien Welt“ als das „freie China“ getrieben hat. Welch eine Sünde, auf dem Rücken einer unterdrückten Bevölkerung ausgetragen!

Doch dieses Land und seine Bewohner haben all das erduldet und ihren eigenen Weg zur Freiheit gefunden. Sie haben mir das Gefühl gegeben, Heimat zu sein, mich frei bewegen und artikulieren zu dürfen, was nicht selbstverständlich ist und Generationen vor mir so nicht erleben durften. Dafür gebührt ihnen mein Respekt, meine Dankbarkeit und zumindest der Versuch, etwas davon zurück-zahlen zu können.

Die Frage kann aber auch anders herum gestellt werden: Kann in einem Land, das gezwungener-maßen tagtäglich um den Nabel der eigenen Existenz herumgeführt wird, dessen schieres Dasein und mühsam erkämpfte Demokratie und persönliche Freiheit jeden Tag von neuem auf der Kippe internationaler Fürbitte stehen, das aber in der Gefahr eines Krieges, dem es nicht gewachsen ist, selbst nicht entscheiden kann, ob es um den Erhalt seiner Existenz kämpfen mag oder aber die Waffen zuvor freiwillig strecken sollte, kann ein solches Land ein internationales Geschichtsbewusstsein entwickeln? Wo doch vor der Labilität der eigenen Existenz alles andere an Vordergrün-digkeit und Bedeutung verliert…

Einmal suchte ich in einem kleinen Buchladen direkt auf dem Campus nach einem Lehrbuch. In jenem Laden werden gleich neben dem Eingang Notizbücher angeboten. Die meisten von ihnen zierten westliche Ikonen, die Büchlein sind wirklich nett anzuschauen, sei es, dass John Lennon, WoodStock oder der Ché das Cover schmücken. Nicht zu erwarten war jedoch eine andere westliche "Ikone" – nämlich Adolf Hitler. Nach einem ersten Schock packte mich der heilige Zorn und, be-stärkt von meinen Klassenkameraden, ging ich, mich in meinem Grundschul-Chinesisch höllisch teuren (europäischen?) Restaurants

im Viertel der Besserverdienenden platt – wir sind stolze Bewohner des proletarischen Ghettos Sinjhuang. Der Spielplatz der besitzenden Schicht: wenn man die Klotür öffnete, hob sich der Klodeckel automatisch, wie um seine Freude angesichts des zu erwartenden Spektakels kundzutun und den Besucher für sein im Restaurant gelassenes Geld ordentlich zu entschädigen. Damit nicht genug, die Dinger waren von irgendwoher beheizt und wohlig warm. Das rief natürlich sofort die Erinnerung an unseren geliebten Professor Moritz wach und seine Geschichte von den Hotelklos in Thailand, wo man beim Stuhlgang gleich noch massiert wurde. Ich kann mir jedoch immer noch nicht vorstellen, wie das ablaufen soll... ist ja irgendwie auch ‘ne intime Sache, nicht?

Meine Kommilitonen am Sprachzentrum der Universität kommen „dank“ der politischen Isolation Taiwans, welches staatliche Stipendien im Austausch gegen politische Anerkennung vergibt, aus solch exotischen Ländern wie Peru, El Salvador, Burkina Faso und den Salomon-Inseln. Diese Menschen sind der andere Teil meines Aufenthaltes und meine Verbindung zur großen, weiten Welt außerhalb unseres Inseldomizils, in ihrer Andersartigkeit meine Freude und mein Stolz. Für sie ist dieser Aufenthalt oft die größte Möglichkeit ihres Lebens, sie sind anders als ich aber nicht mehrere Jahre auf ihn vorbereitet worden, sondern schwimmen im kalten Wasser. Ihre Leichtigkeit kennt nicht die Voreingenommenheit desjenigen, der zu viel zu wissen meint.

Unser Drang nach jenem Leben, welches wir uns zu führen wünschen, begleitet uns an entlegene Orte. Es geht sicher vielen unter uns so. Doch was veranlasst uns, so weit weg zu gehen? Wie weit ist weit genug? Ich bin auch dort, was man weit entfernt nennen könnte, doch fühlt es sich geborgen und sicher an, und was so schnell einem Zuhause gleicht,

kann doch nicht vollkommen verschieden von dem angewöhnten, von dem geschützten Zuhause sein...

Insel leben und Insel leben lassen

Taiwan hat mein Selbstbewusstsein auf selt-same Art und Weise transformiert. Sein subtiles Wesen hat mein Bewusstsein nach den Stunden des Tages befragt. Was und wer bin ich wirklich? Wieviel bin ich? Das mag an der fremden Kultur liegen, die dir nicht immer ihr Gesicht von innen nach außen kehrt – um ehrlich zu sein, tut sie dies äußerst selten. Es gab eine Phase, in der ich nicht wusste, wo ich eigentlich bin oder wo ich hin sollte. Das lag an einem Tod, der so weit weg war, dass es schmerzte, nicht bei ihm sein zu können. Die Zeit schien still zu stehen, denn wie hätte in diesem Moment alles seinem normalen Lauf folgen können? Das wirre Gefühl, alles sei ohne Bedeutung, ließ meinen Sinn für Realität schwinden, sofern Realität doch etwas anderes ist als eine Illusion, die uns des Funktionierens und Überlebens wegen mitgegeben ward, als wir geschaffen wurden. Es schien, als würde der Mörtel zerfressen, mit dem dieses junge Gebäude Taiwan für mich errichtet wurde. Mein Gecko an der Wand rührt sich nicht – wie macht er das, bei einer Drehung um 90° nicht den Verstand zu verlieren? Das Kondenswasser der Klimaanlage tropft – überall sieht man diese Erker aus den Wänden ragen, unbewegliche Krieger aus Luft. - Dennoch fühle ich; dies ist

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Frühsommersonne glänzten darin wie tausend Sterne. Allerdings würde ich niemals meine Füße da reinhalten, denn außer der üblichen Kleinkinderpisse bewegten sich noch sämtliche der erwähnten Vierbeiner in dem Wasser. Aber das Schärfste war folgendes: Tatsächlich kam eine Familie mit drei rosigen schwarz gefleckten Schweinen, vorbildlich angeleint, und packte die dann auch noch ins Wasser, was die Hunde zur Raserei trieb.

Nun sind taiwanische Hunde scheinbar gene-tisch bedingt scheu und können zwar kläffen, ziehen sonst aber selbst vor dem bösen Blick den Schwanz ein. Das heißt, so richtig trauten sie sich auch nicht an die Schweine ran, immer nur an den Hintern zum Schnüffeln. Einzig ein winziger Dackel folgte einem Schwein beharrlich und überall hin, immer gepeinigt von seinem heiseren Keuchhusten, der Arme. Der Höhepunkt kam, als es einem Husky zu bunt wurde und er versuchte, das Schwein umzubringen. Und sich auch nicht davon ab-bringen ließ, als der Schweinsbesitzer es in seine Arme nahm und versuchte, dem Hundsvieh Angst zu machen. Zu guter Letzt mussten die Schweine also aus dem Wasser. Aber bis dahin hatten die Kinder jedenfalls einen Mordsspaß. Das war eine Show! Aber warum man Schweine als Haustiere halten sollte, geht mir nicht auf. Gut, wir haben ja jetzt einen kleinen Hasen, aber der ist richtig süß, nur nervig, wenn er wieder eingefangen werden soll und zurück in seinen Käfig. Dazu fallen mir noch zwei Absonderlichkeiten ein: Zum einen ist das Schwein in China ein Glückssymbol. Es steht für Reichtum und Frucht-barkeit. Ich bin im Jahr des Schweins geboren, kein Wunder, dass ich mein Lebtag immer so vom Glück verfolgt wurde! Und auch uns sollte die Verbindung dieser possierlichen Wesen mit unserem Glück gar nicht so fremd anmuten. Nicht umsonst heißt es da: Schwein gehabt! Und zum Hasen: Die Taiwaner finden es barbarisch und können kaum glauben, dass wir so ein niedliches Tierchen ruhigen Gewissens zu verspeisen vermögen. Bringt

halt kein Glück, nicht als armes Schwein geboren worden zu sein.

Heimat und warum es sich trotzdem lohnt, zu leben

Asien ist nicht nur Markt oder Konsument oder Produzent oder Konkurrent, als das es bei uns leider viel zu sehr gesehen wird. Und so lässt sich auch Taiwan nicht einfach den Stempel des „anderen“ China aufdrücken. Wer nicht versteht, worum es geht, wird nicht verstehen, warum er eigentlich seine Allmacht aus den Händen gegeben hat... Wer nicht verstehen will, wird nicht verstehen. Und wer die Vergangenheit zur Zukunft machen will, hat beide verspielt. (Das musste sogar Tom Cruise als letzter Samurai einsehen, allem Heroismus zum Trotz ;) - Das Leben ist kein heroischer Kampf, zumindest nicht für mich. Kämpfer, die nicht dem Schwert zum Opfer fallen, werden von ihrer eigenen Hoffnungslosigkeit niedergestreckt. Ich habe eingesehen, ich weiß, wofür es lohnt zu kämpfen, doch leise und beharrlich und ohne Blutvergießen. Ich habe etwas gewonnen, das Herz dieses Ortes, und ich bin unendlich dankbar dafür. Eine Insel im Meer, und es gibt Hoffnung, dass sie in all ihrem Wandel so bleiben wird, wie ich sie kennenlernen durfte. Ich habe Menschen getroffen und wir haben uns unsere Liebe ge-schenkt, es gibt einen Ort, an dem werde ich willkommen sein. Und werde diesen meinen Ort zu einem großen Willkommen machen. Freundschaft, ein Lächeln, diese Zeilen: Das ist der Unterschied, der uns da Sinn gibt wo alles egal zu sein scheint.

zu beschweren und den von dem Thema absolut überforderten und nur entschuldigend dreinblickenden Verkäuferinnen

klarzumachen, dass man so einen Scheiß doch nicht allen Ernstes VERKAUFEN kann! Das Heftchen war ja nicht im Geringsten ironisiert, sondern im Gegenteil gar idolisiert. Hitler in heroischer Pose, in der aufgereckten Hand einen Blitz, darunter das Hakenkreuz, auf der Rückseite zur Zugabe gleich nochmal. Die Verkäuferinnen zeigten sich äußerst "sorry", eine sagte sogar, sie habe ein wenig Geschichte studiert und wisse, dass der Typ überhaupt nicht nett gewesen sei.

Aber so ist das manchmal. Sie sagen dir, wie sorry sie sind, schauen dich ganz ehrlich sorry an, und was dann? Was kann man machen? Man steht sich gegenüber - Stille. Der Segen des Einander-nicht-verstehen-Könnens lässt meine Wut an ihrem Sorry einfach abperlen. Zumal sie ja nicht mal was dafür können. Und was mache ich? Mich beim Chef beschweren? Der hat den Einkauf wahrscheinlich auch nicht angeordnet. Ich überlegte schließlich, alle Hefte aufzukaufen und öffentlich zu verbrennen, aber das wäre sicher kontraproduktiv gewesen, sie würden dann ja nur noch mehr von dem Zeug hinstellen - es verkaufte sich schließlich so gut.

So ist das eben auch in Taiwan. Man geht und fragt und bekommt eine Antwort, zum Beispiel, wann denn unser Stipendium endlich auf dem Konto sei, es wartet schließlich ein Loch im Bauch. Die Antwort ist vielleicht Tag x, aber an Tag x ist das Geld immer noch nicht da. Wir gehen also wieder hin und fragen. Man hört ehrliche Entschuldigungen und dass es sicher nächste Woche kommt. Und so geht es dann weiter, bis man es eines schönen Tages tatsächlich bekommt. Oder aber vorher aufgegeben hat.

Aber Stress machen oder sich beschweren -das funktioniert hier nicht im Ansatz wie daheim. Und warum auch? Man macht es sich selbst doch nur schwer... Leben in einer anderen Kultur heißt auch, wie die anderen

zu leben. Anpassung. Sportlicher Ehrgeiz ist sicherlich keine verkehrte Einstellung, es macht ja auch verdammt noch mal Spaß, andere Gewohnheiten kennen zu lernen und das alte, das verbrauchte Ego mit all seinen blöden Vorlieben in einer Ecke des Zimmers zu ver-graben. Und anschließend ein bisschen Räucherwerk und Papiergeld verbrennen. Natürlich nur einmal im Jahr, wegen der Emissionen.

Willkommen im Jahr des Schweins

Am Sonntag vor dem Drachenbootfest nutzte ich den schönen Nachmittag und die nachlassende Hitze zu einem Spaziergang in einem Park im Norden Taipeis, der, weil ohne Bäume, eigentlich als riesige Wiese bezeichnet werden müsste. Und außer den üblichen Verdächtigen, also Unmengen von Hunden jeglicher Couleur, vom sich totschwitzenden Husky bis zur Pferd-für-Zwerge-Kopie Chiwawa, gab es auch eine kleine Überraschung. Ich befand mich an einem großen Becken, das knietief mit Wasser vollgelassen war. Die herr-lichen Strahlen einer warmen

Erlebnisbericht

Erlebnisbericht

Jacob Tischer studiert Sinologie und Religionswissenschaft an der Universität Leipzig.

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during East Germany's transition. There were others such as legal reform and reorganisation of the police force.

One of the biggest challenges was the SED party assets. The SED had accumulated vast assets during 40 years of dictatorial rule. A law was passed to put the assets of the SED and associated organisations that existed on 7 October 1989 into trust. An independent commission and the trustee were then responsible for liquidating and disbursing the assets. Assets were returned to the former owners or successors in title if the ownership was proved. The commission returned assets to the SED and other organisations when the assets had been acquired lawfully. Remaining assets were realised for non-profit purposes, especially the economic restructuring of the states of the former GDR.

Taiwan's experience provides a stark contrast. In the years immediately following the lifting of martial law many of the strict controls of the dictatorial state remained in place. The process of democratisation took place gradually over a decade under the leadership of Lee Teng-hui. As previously noted it was not until 2000, 13 years after the end of martial law, that the opposition party was elected to the presidency and took control of the execu-tive branch of government.

Lee's contribution to the development of Taiwan's democracy was enormous. However, it was achieved from within the KMT and this limited Lee's capacity to act in ways that did not have support of at least some sections of the party. While great strides were made in the development of elections and political participation there were not simultaneous efforts to remove the vestiges of the KMT's dictatorial past. Hence this created a conundrum. The KMT established its political legitimacy through elections, yet it was never subject to transitional justice.

This is further illustrated by the treatment of the 228 Incident. 228 refers to the events surrounding 28 February 1947 when Taiwanese rebelled against the rule of the KMT and were met with a violent crackdown which killed more than 10,000 people. Lee ordered an in-dependent report into the event and subsequently took part in numerous acts to commemorate 228. A committee was set up to pay reparations to the victims of 228 and later the White Terror period. As a result victims were compensated but the

wrongdoers were never prosecuted or named. What Taiwan has achieved in the area of transitional justice has largely been in areas which don't directly challenge the power of the KMT. Numerous 228 memorials and human rights museums have been established. There have been many documentaries and books on 228 and the White Terror period. During the 2000-2008 period the DPP undertook a program of name rectification. State owned companies and institutions that had references to China or the ROC in their names had these changed to Taiwan. Statues of Chiang Kai-shek were removed from many locations and most controversially, the Chiang Kai-shek Memorial Hall in central Taipei had its name changed to Taiwan Democracy Memorial Hall. It should be noted that the KMT has acted to revert some of the name changes after returning to power in 2008. The tackling of harder issues such as a Truth Commission and KMT party assets have never been realised. The DPP raised the issue of party assets a number of times while it was in power. Some accused it of using the issue simply for political gain during elections. The DPP was limited in the actions it could take because it lacked a majority in the legislature. The KMT has continually failed to make any efforts to reform itself.

For Taiwan transition without justice creates a dilemma. All Taiwanese now enjoy the fruits of democracy, but the party of the former Transitional justice is a major challenge facing

states that make a transition from

authoritarianism to democracy. Huntington writes that transitional justice in third wave countries is little affected by legal and moral considerations. “It was shaped almost exclusively by politics, by the nature of the democratization process, and by the distribution of political power both during and after the transition.” The experiences of Taiwan and East Germany, which both emerged from authoritarianism in the late 1980s, make for an interesting contrast and illustrate Huntington's thesis.

Martial Law ended in Taiwan in July 1987. Although the KMT might have slightly relaxed its grip on power at that time it certainly didn't give it up. A blacklist preventing foreign and exiled Taiwanese dissidents from entering Taiwan was maintained until 1992. A number of violent incidents and large scale protests occurred in this period. It was the March 1990 Wild Lily protest that led to President Lee convening a National Affairs Conference and the Taiwanese were finally able to elect the representatives of the National Assembly in December 1991. The first direct Presidential election took place in 1996 with the incumbent Lee Teng-hui winning a majority of the vote. Taiwan experienced a transition to democracy without a simultaneous transition of power. As democracy developed the KMT remained the primary political power and the apparatus of the party-state largely remained in place. It was not until 2000 when DPP candidate Chen Shui-bian was elected as President that a full transition of power finally took place.

Even then the KMT still maintained a majority in the Legislative Yuan.

Compare this situation with East Germany. When the Berlin Wall fell in November 1989 the people rapidly took power. Citizens' committees were formed that seized control of the files in town halls and more importantly in the Ministry of State Security. Round tables were formed to monitor the actions of the transitional government and work out the basis for democratic transformation. The central round table forced the transitional government to dissolve the Ministry for State Security. The Ministry employed 100,000 people and had accumulated masses of data from surveillance of the local population. Free elections were held on 18 March 1990. The election was won by the “Alliance for Germany”, a coalition of parties. They faced a massive task in preparing the country for reunification within six months. One of the key tasks for the new government was to remove the dictatorial structures and strip the old leaders of their structural and material power.

Local elections were held on 6 May 1990. This enabled the citizens, who had previously had no political power or experience, to take control and strip the local cadres of power at the grassroots level. Another task was transforming the judiciary. Almost all the staff in the judiciary were members of the Socialist Unity Party of Germany (SED). Committees were set up to examine every single judge and about half the judges were allowed to remain in office. These were just a few of the issues addressed by the People's Chamber

Im Vergleich

Im Vergleich

A Comparison of Transitional Justice in Taiwan

and East Germany

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der Uni Marburg ein – ein nettes kleines Universitätsstädtchen, genau die richtige Größe für mich Insulaner. Gleich nach den ersten beiden Semestern buchte ich einen Flug nach China – Hinflug nach Beijing, Rückflug von Taibei. Ich wollte wissen, ob ich mit dem Land und seinen Bewohnern überhaupt

zurechtkomme, bevor ich nach vier oder fünf Jahren Studium feststelle, dass ich da gar nicht hin will. Damals war es noch ein Land mit vier Systemen – also flugs auch Macau und Hongkong kurz angeschaut. Rückblickend werde ich auf dieser Reise wohl kein Fettnäpfchen ausgelassen haben. Davon abgesehen hat mir Taiwan mehr zugesagt – Inselkind bleibt wohl ein Inselkind. Zurück an der Uni konzentrierte ich mich beim Zeichenlernen auf die traditionelle Schreibweise, um dann in Taiwan nach dem Grundstudium einige Zeit zu verbringen; die Haushaltskasse füllte ich mit Englischunterrichten zunächst auf, später mit einem Halbtagsjob für ein Familienunternehmen, das Mobiltelefonzubehör in die ganze Welt vertrieb – illegal, da ohne Abschluss keine Arbeitserlaubnis. Doch so lebte eigentlich jede Langnase in Taiwan; und langsam beschlich mich ein ungutes Gefühl: „Linus, Du hast ein gutes Auskommen, Dir geht es gut, doch willst Du Dein ganzes Leben in der Halbillegalität verbringen?“ So beschloss ich, mich von Taiwan zu trennen und in die Heimat zurückzukehren, um das notwendige Zertifikat zu erhalten, mit dem dann auch eine Arbeitserlaubnis im Ausland erhalten werden kann. Nach der Zeit in der Metropole Taibei wollte ich nicht wieder ins verschlafene Marburg; die Wahl fiel auf Leipzig – überschaubare Größe mit viel Grün, nicht zu provinziell und im Osten! Als „Wessi“ sollte man nun auch mal den Osten kennenlernen; und nach dem Kulturschock in China war das wohl kaum eine große

Herausforderung. Für Leipzig sprach auch die Professur in der Religionswissenschaft – es war die richtige Wahl, weshalb ich meine Abschlussarbeit auch bei Professor H. Seiwert schrieb. Seit einigen Jahren arbeite ich nun für China By Bike, zuerst als Reiseleiter, jetzt in der Geschäftsstelle. Tja, wie bin ich an den Job gekommen – ich bin da reingewachsen: hospitiert, Praktikum gemacht und dann war da eine Stelle frei. Ab und zu stelle ich mir die Frage, wo ich in fünf Jahren sein will und was als nächstes kommt. Dann beschleicht mich das Gefühl, zielstrebiger zu sein und an der Karriere zu feilen. Doch dies war nicht Ausgangspunkt meines Studiums, sondern der Reiz, sich mit Unbekanntem auseinander-zusetzen. So gründet sich mein

Grundauskommen aus einer zweidrittel Stelle, Arbeitsbeginn gegen Mittag, so dass der Vormittag frei ist, mich um private Interessen kümmern zu können.

authoritarian regime retains its political power. The challenge for Taiwan is how to achieve transitional justice without engendering further social and political division. It demands either a broad based grassroots movement or skillful leadership from the top. Both seem lacking in Taiwan at present as society is split along a strong political divide.

References

Arrigo, Linda Gail. “From Democratic Movement to Bourgeois Democracy: The Internal Politics of the Taiwan Democratic Progressive Party in 1991.” Chapter 5. The

Other Taiwan: 1945 to the Present. Murray A.

Rubenstein (Ed.). M.E. Sharpe, New York, 1994. de Maiziere, Lothar. “Transition of the former German Democratic Republic (GDR) and the liquidation of the assets of the “Socialist Unity Party of Germany” (SED).” Proceedings of the International Conference on Comparative Studies of Transitional Justice, Taipei, 28 July 2007.

Tsao, Ronald Chin-jung. “Museums for peace: Identity of Taiwan's peace museums and human rights parks.” INTERCOM 2006 Conference Paper.

Wu, Naiteh. “Transition with Justice, or Justice without History: Transitional Justice in Taiwan.” Paper presented at International Conference on Political Challenges and Democractic Institutions, National Taiwan University, 3-4 December 2004.

Mittlerweile ist Leipzig recht weit weg. Viel-leicht ist dies mein Umgang mit der geforderten Mobilität in der globalisierten Welt – schnell sich an einem neuen Ort ein-leben; vielleicht ist es einfach auch das, was ich im Studium gelernt habe: sich auf die Situation einstellen. Zur Zeit ist mein Lebens-mittelpunkt in Berlin. Davor hatte ich meine Kindheit und Jugend auf einer Nordseeinsel verbracht; nutzte den Wehrersatzdienst, um mich mit dem deutschen Festland

anzufreunden. Während des Zivildienstes kam dann die Frage auf: „Was danach?“ Irgendwie war klar, dass es an die Uni gehen sollte, doch was studieren? Die Wahl fiel auf

Religionswissenschaft; es spielte auch etwas Hoffnung mit, damit den Stein der Weisen zu erlangen. Als zweites Hauptfach fiel die Wahl auf Chinesisch – einfach mal eine komplett andere Sichtweise neben der europäisch-christlichen kennenzulernen, sprach mich an. Eigentlich gehörte ich zu den Jungs, die in Mathe brillierten. Sprachen fand ich spannend, doch sagten die Zensuren, dass ich dafür wohl nicht geboren sei. Egal, ich schrieb mich an

Im Vergleich

Alumni-Bericht

Inselkind bleibt wohl Inselkind

von Linus Schlüter

Alumni-Bericht

David Reid is a student in the Inter-national Master's of Taiwan Studies programme at National Chengchi University and author of the popular blog "David on Formosa"

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Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe ist sehr variabel. Das zeigt eine im Dezember 2008 veröffentlichte Untersuchung unter Hakka-TaiwanerInnen: 13,5% der Befragten (3.108.000 Personen) stuften sich als Hakka ein. Eine größere Gruppe von 18,6% (4.276.000 Personen) definierten sich sowohl als Hakka als auch als Hoklo. Die größte Gruppe von 25,6% (5.677.000 Personen) ver-stand sich trotz einer nachweislichen Hakka-Abstammung überhaupt nicht als Hakka. In Taiwan mischt sich eine Vielfalt von Ethnien, Kulturen und Bräuchen. Eine vergleichbare Mixtur auf kleinstem Raum findet sich sonst in China nur in der Provinz Sichuan, wohin 1939/40 die Exilregierung sowie Einwohner aus allen Teilen Chinas vor der japanischen Besatzung flohen.

Geographische Lage

Taiwan ist Teil einer Inselkette mit den japa-nischen Ryu-kyu-Inseln im Norden und den Philippinen im Süden von Taiwan. Längs wird die Hauptinsel durch eine Bergkette in eine westliche und eine Osthälfte geteilt. Anders als das binnenorientierte chinesische Festland ist Taiwan geographisch gesehen als Insel zum Meer hin nach außen orientiert. Die mangel-hafte Erschließung bzw. schwerwiegende Verschmutzung von Taiwans Küste zeigt jedoch die Stärke der chinesisch-traditionellen Binnenorientierung in Ignoranz der geogra-phischen Gegebenheiten.

1. Welche Bedeutung haben die

Taiwanstudien für die moderne Sinologie? Taiwan verwendet als eine der wenigen Regionen der Welt bis heute die traditionellen chinesischen Langzeichen, vor allem im Unterschied zu den vereinfachten Zeichen der Volksrepublik China. Aus Bequemlichkeit verwende ich selbst auch die Kurzzeichen, die

sich einfach schneller schreiben. Die Langzeichen dagegen bezeichne ich lieber als „vollständige“ oder „komplette“ Zeichen. Nur die

Langzeichen sprechen sowohl visuell, wie vom Klang und Form und Aufbau her den ursprünglichen Gehalt zur Gänze an. Die Verein-fachung führt zu Fehlern und zu Missverständ-lichkeiten; ähnlich wie es die Folge einer hun-dertprozentigen Kleinschreibung im Deutschen wäre. Spricht man jedem Zeichen wie in der englischen Bezeichnung, einen „Charakter“ zu, dann führt die Verkürzung

notwendigerweise zu einem Identitätsverlust. Vor allem bewahren die traditionellen Lang-zeichen aber eine jahrtausendealte Tradition der chinesischsprachigen Welt (huaxia). Die Vereinfachung bringt einen Verlust an Spezialisierung und Professionalität mit sich: Weder die Orakelknochen noch die Inschriften vorchristlicher Bronzekessel lassen sich mit der Hilfe von Kurzzeichen verstehen, genauso wenig die traditionellen Medizinklassiker. Jeder weiß, dass Sprache und Schrift Ausdruck und Träger des menschlichen Denkens sind. Verschiedene Sprachen und Schriften sind Ausdruck der jeweiligen Besonderheiten des Denkens unterschiedlicher Personengruppen in voneinander differierenden Kulturen. Die Menschen, die in Taiwan leben, haben über lange Jahre strikte Trennung und Feindseligkeit gegenüber dem chinesischen Festland erlebt, aber genauso den wechselseitigen Austausch seit dem Beginn der Reform und Öffnung in China. Sie kennen sich mit beiden

Zeichenformen aus. Die taiwanische Gesellschaft verfügt zwar über eine ähnliche Kultur wie das Festland, aber genauso über eine andere historische Erinnerung. Ganz von selbst entwickelt sie sich ähnlich wie das Festland und doch anders: Überall finden sich taiwanische Besonderheiten, die auch eine Bereicherung für die vielen Aspekte der sino-logischen Forschung sind.

Die Sinologie verstehen wir hier im allerbrei-testen Sinne der Definition von Yu Yingshi als alle Forschungsergebnisse zu einem

Neuere historische Daten – Ein Überblick

Von 1895 bis 1945 war Taiwan japanische Kolonie. Die Gründung der Republik China 1912 auf dem chinesischen Festland hatte insofern für Taiwan keine Bedeutung. Nach der japanischen Niederlage wurde Taiwan Teil der Republik China. Der gewaltsamen Verfolgung des Aufstandes vom 28.2.1947 (chin. ererba) fielen Teile der lokalen taiwanischen Intelligenz zum Opfer. 1949 verlagerte Chiang Kaishek die Regierung und die Armee der Republik China vom Festland nach Taiwan. Sein Rückzug markierte die Niederlage der Republik China im Bürgerkrieg gegen die chinesischen Kommunisten. Am 1. Oktober 1949 rief Mao Zedong in Beijing die Volksrepublik China aus. 1996 wurde erstmals der Präsident der Republik China auf Taiwan direkt gewählt. Bei den demokratischen Wahlen von 2000 und 2008 fand jeweils ein Wechsel der bisherigen Regierungspartei statt.

Bevölkerung

Die große Mehrzahl der 23 Millionen Taiwaner-Innen sind Han-ChinesTaiwaner-Innen. Unterschieden werden Hakka und Hoklo, mehrheitlich im 17. Jahrhundert aus der Provinz Fujian eingewan-derte ChinesInnen, von den „Festlands-chinesInnen“, die nach 1949 mit der Armee und Regierung der Republik China nach Taiwan

kamen und aus allen Provinzen Festlandchinas stammen. Die etwa 340.000 Indigenen sind vermutlich malayo-polynesischer Herkunft(1). Von ihren Sprachen her lassen sich 42 ver-schiedene indigene Gruppen unterscheiden. Die Regierung erkennt offiziell 14 indigene Stämme an. Diese Zahlen verdeutlichen die große Zahl unterschiedlichster Sprachen und Gruppen in Taiwan.

Die Heirat über ethnische Grenzen ist seit langem weit verbreitet. Die Einstufung nach

Auf ein Wort!

Auf ein Wort!

Die Bedeutung der Taiwanstudien in der modernen Sinologie

von Peng Li-chung

Aus dem Chinesischen von Astrid Lipinsky.

Gliederung

1. Welche Bedeutung haben die Taiwanstudien für die moderne Sinologie? 2. Wie lässt sich der Gegenstand der Taiwanstudien abgrenzen?

3. Was ist die Position der Taiwanstudien im globalen Kulturaustausch?

Aus:

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Repu blic_of_China_(Taiwan)_demographics.png

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wirtschaft aufgebaut und moderne Konzepte von Demokratie, Rechtsherrschaft und Menschenrechten importiert. In Taiwan kam es inzwischen zweimal (2000 und 2008) zu einem Wechsel der Regierungspartei über demokratische Wahlen. Zwar gibt es in Taiwans demokratischer Praxis noch etliche Mängel, aber sie hat sich unsere

Wertschätzung verdient und eignet sich sicher-lich als Vorbild für andere sich entwickelnde Länder.

c) Taiwan als Wirtschaftswunderland Taiwan mit seiner boomenden Wirtschaft ist einer der vier „Kleinen Drachen“ Asiens. Verglichen mit anderen asiatischen Ländern waren die Auswirkungen der Asienkrise 1997 in Taiwan am geringsten. Obwohl arm an natürlichen Rohstoffen, obwohl regelmäßig von Erdbeben und Taifunen heimgesucht, und obwohl als Republik China seit Jahrzehnten international isoliert, hat Taiwan zwei Ölkrisen überstanden und wichtige Wirtschaftsreformen implementiert. Das explosive Wachstum der Wirtschaftsbeziehungen mit dem chinesischen Festland trotz der jahrzehntelangen rigiden Trennung kann als ein

„taiwanisch-chinesisches Wirtschaftswunder“ bezeichnet werden.

d) Taiwan als Schlüsselpunkt für Krieg oder Frieden in Ostasien

Konfrontation oder Kooperation zwischen Festlandchina und Taiwan werden zukünftig über die internationale politische und ökonomische Entwicklung Ostasiens entschei-den. Es ist keinesfalls bloß eine akademische, sondern eine praktische Frage, ob und wie die politischen Parteien und die Regierungen auf beiden Seiten der Taiwanstraße ihre historisch verwurzelten Konflikte friedlich regeln.

Die Taiwanstudien sind deshalb nicht nur eine weitere Unterart der Area Studies (Regional-studien), sondern genauso unverzichtbarer Bestandteil der heutigen modernen Sinologie. Sinologische Forschung zu Aufstieg und Niedergang Chinas kann den Einfluss der Unternehmer aus Taiwan (taishang) und von Taiwan an sich nicht außer Acht lassen. Von Politik und Wirtschaft abgesehen, ist Taiwan ein Angelpunkt für Vervielfältigung und Erneu-erung der chinesischen Kultur.

Im April 2003 wurde, vom oben geschilderten Bedeutungsspektrum ausgehend, an der National Chengchi University das Taiwan Study Center (TSC) gegründet (nähere Informationen unter: http://www.tsc.nccu.edu.tw). Initiator war der damalige Dekan der Fakultät für Sozial-wissenschaften an der National Chengchi University, Professor GAO Anbang. Er fand damals „Taiwan“ als Gegenstand der unter-schiedlichsten methodischen, theoretischen und konzeptionellen Forschung unzureichend etabliert und war sich des großen Potenzials gerade der interdisziplinären Taiwanforschung sicher.

Ziel des TSC ist nicht nur die Lokalisierung (bentuhua) der Taiwanstudien (also die An-wendung moderner sozialwissenschaftlicher und multidisziplinärer Methoden auf unter-schiedliche Aspekte von Taiwan), sondern gleichermaßen die Internationalisierung der lokalen Taiwanforschung durch Verstärkung des internationalen wissenschaftlichen Austausches. Das TSC sieht folgende Entwick-lungsschritte vor:

1. Aufbau einer ForscherInnengruppe 2. Veranstaltung von regelmäßigen Treffen

und Forschrittsberichten

3. jährliche größere Tagung zur Vorstellung der Forschungsergebnisse

4. Aufbau einer Datenbank sowohl von Taiwan-Themen als auch von Taiwan-ExpertInnen zur Unterstützung der Lehre der Taiwan-studien und weiterer Forschung umfassenden Begriff von „China“. Innerhalb

dieser „Sinologie“ ist die Untersuchung der Geschichte, Sprachen, Kulturen, Religionen, Bräuche und dem geographischen Setting von „Nicht-Han-Chinesen“ sowohl im Innern als auch an den Grenzen Chinas ein wichtiger Teilbereich. In der Taiwanforschung verkörpern sich beide Aspekte: die Nicht-Han-Bevölkerung und die im Verhältnis zum chinesischen Festland marginale Lage.

Die moderne Sinologie steht ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter dem Einfluss eines enormen finanziellen und personellen Inputs seitens der USA. In der Folge verlagerte sich das Zentrum der „Sinologie“ eindeutig von Europa nach Nordamerika. Die ameri-kanische Chinaforschung ersetzte den als veraltet empfundenen Begriff der „Sinologie“ durch den der „China-Studien“. Zwar verwenden die USA den Begriff der „Sinologie“ nach wie vor kaum, aber im Verständnis der chinesischsprachigen Forschung umfasst ihre Benennung als „China Studies“ genau wie die Sinologie alle Epochen und alle Aspekte von China und ist nicht beschränkt auf den Blick der Nicht-Han-Chinesen von außen auf China, sondern beinhaltet gleichermaßen die Anwendung von westlicher Ausbildung und Methodik durch ChinesInnen zur Erklärung von China. Der wissenschaftliche Austausch zwischen Chinesen und Nichtchinesen, der Zugang von unterschiedlichen Fachbereichen aus und der Dialog auf der Basis

verschiedenster Lebenserfahrungen sind die Besonderheiten der modernen Sinologie. 2. Wie lässt sich der Gegenstand der Taiwanstudien abgrenzen?

„Taiwanstudien“ sind eng verbunden mit den taiwanischen Inseln und den in Taiwan lebenden Menschen. Gleichgültig ob Politik, Wirtschaft, Bildung, Kultur, Wissenschaft, Kunst, Sport oder andere Themen, aus dem taiwanischen Blickwinkel bietet sich hier eine

Vielfalt von Forschungsinhalten. Vor dem Hintergrund selbstverständlicher wissenschaft-licher Übung – der wissenschaftlichen Redlichkeit, Aufrichtigkeit und Transparenz -bietet sich besonders die interdisziplinäre Forschung an mit dem Ziel, aus einem besseren Verständnis heraus der Politik die richtigen Vorschläge zu machen und das prak-tische Alltagsleben in Taiwan zu verbessern. Im Folgenden möchte ich anhand von vier Beispielen aus den unterschiedlichen Fachrichtungen der Politik, Wirtschaft, Kultur und der Anthropologie die Bedeutung und die Reichhaltigkeit der Taiwanforschung verdeut-lichen.

a) Die Besonderheiten der geographischen Lage von Taiwan und seiner Migrantenkultur Taiwan liegt etwa 200 Kilometer entfernt von der südöstlichen Küstenlinie der Volksrepublik China in der Mitte der im Nord-Süd-Bogen von Japan bis zu den Philippinen reichenden westpazifischen Inselkette. Taiwan ist der nördlichste Fundort der austronesischen Sprachtraditionen (http://de.wikipedia.org/ wiki/Austronesische_Sprache). Das ist aber nur der Beginn einer Reihe kultureller Einflüsse in Taiwan: Die austronesische wurde von der chinesischen Kultur abgelöst, dann rückte Taiwan für fünfzig Jahre an den Rand der japanischen Kultur, und unterliegt heute US-amerikanischen Kultureinflüssen. So gesehen mischen sich in Taiwan die unterschiedlichsten Kulturen und beeinflussen sich gegenseitig. b) Taiwan als weltweit größtes Experimentier-feld für Demokratie im chinesischen Kontext China wurde mehr als 2000 Jahre lang absolu-tistisch regiert. Erst unter dem Einfluss des modernen Nationalismus und verbunden mit dem Wunsch nach internationaler

Anerkennung wurden eine moderne

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Das TSC hat 2005 einen Band mit Grundlagen der Taiwanforschung herausgegeben. Ein weiterer chinesisch-englischer Aufsatzband von 2007 beinhaltet Beiträge der Forschenden und Lehrenden der Fakultät für Sozialwissen-schaften zu verschiedenen Taiwan-Themen. Das TSC sieht seine zukünftigen Aufgaben vor allem in:

1. dem Aufbau eines Informationsnetzwerkes für die Taiwanstudien,

2. der Bereitstellung von Verbindungswegen und Kommunikationskanälen zwischen Wirtschaft, Regierungsstellen, Lehre und Forschung im Bereich der Taiwanstudien 3. Umsetzungsempfehlungen und

Umset-zungsmonitoring der Regierungspolitik der Lokalisierung (bentuhua).

3. Was ist die Position der Taiwanstudien im globalen Kulturaustausch?

Was Thomas Friedman in „The World is Flat“ beschreibt, gilt auch für Taiwan: Trotz fehlender diplomatischer Beziehungen kann sich Taiwan globalen Auswirkungen nicht entziehen, wie sich aktuell in der globalen Finanzkrise zeigt. Viele Menschen sind erstaunt über die kulturelle Vielfalt von Taiwan, sie sind voller Anerkennung über die ökonomische Anpas-sungsfähigkeit und Flexibilität der

taiwanischen Bevölkerung, und stehen dem politischen Gerangel ratlos gegenüber. Meist übersehen sie dabei, dass die taiwanische Gesellschaft sich über lange Zeit im Kriegszu-stand entwickelt hat. Einen umso höheren Wert messen die China-Kenner dem Frieden zu. Hier liegt die grundlegende Bedeutung von Taiwan für den globalen Kulturaustausch: Als ein Beispiel für die friedliche Lösung von Kulturkonflikten, wie sie eine zentrale Heraus-forderung der Menschheit im 21. Jahrhundert darstellen.

Der Universität Wien gratuliere ich deshalb dazu, dass sie neben den Chinastudien auch

die Taiwanstudien in den sinologischen Blick nehmen will.

Vortrag im Rahmen der Eröffnung des Wiener Zentrums für Taiwanstudien am 12. Januar 2009.

(1) Zu neuesten Forschungen über Abstam-mungslinien siehe:

http://www.taipeitimes.com/News/taiwa n/archives/2009/01/29/2003434816

Auf ein Wort!

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Peng Li-chung ist Associate Professor am Graduate Institute of Develop-ment Studies an der National Chengchi University in Taipei, Taiwan (http://www.gids.nccu.edu.tw/ma in.php). Informationen zu den Forschungsgebieten von Professor Peng:

http://www.gids.nccu.edu.tw/peo ple/bio.php?PID=12#personal_wri ting.

Kontakt (in chinesischer oder englischer Sprache): lcpeng@nccu.edu.tw

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nun weltweit.“ Er beweist damit einmal mehr

die Universalität der Filmsprache. Auch zeigt er wieder sein feinfühliges Gespür für die Umgebung als Spiegel des Innenlebens seiner Protagonisten. Dies wird ganz besonders deutlich in der Familienwohnung. Dem Ort, an dem sich die meiste Handlung des Films abspielt. Ein Ort, der dank seiner

detailgetreuen Ausstattung die Charaktere und ihre Konflikte sowie auch deren Lösung gleichermaßen darstellt.

Hous Ausflug in die französische Kultur ist ge-spickt mir Reminiszenzen und Referenzen an verschiedenste Filmen und Gemälden. Dennoch ist es ein unverkennbarer Hou Hsiao-Hsien. Er ist sich selbst und seinem Stil fern der Heimat treu geblieben, was leider nicht alle seine asiatischen Kollegen zu tun vermögen, die den Schritt ins Ausland wagen. Er biedert sich nicht einfach einer fremden Erwartungshaltung an, sondern schafft eine spannende Kultursymbiose zwischen Ost und West. Unter seinen chinesischen Akzenten ist an erster Stelle das Puppenspiel zu erwähnen, welches schon in seinen früheren Werken ein zentraler Bestandteil war. Weiterhin ist da das Kindermädchen Song, eine Filmstudentin aus Peking; aber auch die unverkennbaren Hou‘schen Kontrastpaarstrukturen, die schon in seinen früheren Filmen so dominant waren. Familie und Einsamkeit sowie Vertrautheit und Entfremdung sind nur zwei Beispiele. Der konfuzianische Gedanke der angestrebten Harmonie und der zu besiegenden Unordnung spiegelt sich deutlich in der Konfliktkette in Suzannes Charakter wider. Sie versucht den gesamten Film über verzweifelt, ihr Leben neu zu ordnen und ihre Beziehung zu ihrem Sohn wieder aufzubauen. Die stärkste Szene hierbei zeigt sich gegen Ende des Films, nachdem Suzanne wieder einmal durch ein Wechselbad der Emotionen gegangen ist. Zuerst streitet sie sich lauthals mit ihrem Mieter, poltert in die Wohnung und muss einen Anruf

abfertigen, der sie sehr besorgt werden lässt. Danach bemerkt sie ihren Sohn und widmet ihm zum ersten Mal ihre volle und ungeteilte Aufmerksamkeit mit Fragen über seinen Tag in der Schule. In dieser ungeschnittenen Fünfminutenszene zeigt Juliette Binoche ihr gesamtes wandelbares Schauspielrepertoire. Nur wenige Schauspielerinnen sind in der Lage, diese Fülle an Details und Wendungen glaubwürdig zu präsentieren, noch dazu in einer langen Plansequenz. Diese Momente machen den Film unwahrscheinlich intensiv und fesselnd, ja fast dokumentarisch. Der Zuschauer findet sich plötzlich in der Position, in der er glaubt, eine wirkliche Familie zu betrachten. Erinnerungen an die späten Filme von Ozu Yasujiro werden da wachgerufen. Juliette Binoche vermag es außerdem, mit ihrer Leistung erstmals einen Hou Hsiao-Hsien Film vollständig zugänglich für ein westliches Publikum zu machen. Unterstützt werden diese Eindrücke noch durch die virtuose Arbeit von Hous Stammkameramann Lee Ping-Bing. Lee fängt die Szenerie mit vielen langsam schwenkenden Standeinstellungen ein, die jedoch so präzise mit den Schauspielern und natürlich dem roten Ballon choreographiert sind, dass sie das Gefühl von Echtheit vermitteln. Eine Echtheit, die mit der natürlichen Blickbewegung und -erwartungshaltung des Zuschauers fast identisch ist. Daneben sind viele Einstellungen durch Glasscheiben oder mittels Spiegel gefilmt. Hier eröffnen sich nochmals, nun auf der Bildebene, neue Deu-tungsschichten.

Letztlich ist Le voyage du ballon rouge aber ein Film, der polarisiert. Entweder wurde er von Kritikern als zu öde und zutiefst langatmig verrissen oder schlichtweg als ein Meisterwerk geadelt. Jeder sollte sich selbst ein Bild davon machen. Wer die Möglichkeit dazu hat, am besten im Kino, da viel von der Faszination des Filmes im begrenzten Heimmedium DVD

verloren geht. ms

Es gibt sie noch! Die magischen Momente des Kinos. Momente, in denen sich der Film über die Barriere der flachen Leinwand zu erheben und zur Wirklichkeit zu werden scheint. Momente, die nur das Kino zu erschaffen ver-mag. Zugegeben, diese Momente sind in den vergangenen Jahren immer rarer geworden und im Grunde nicht mehr zu finden im Dschungel der Hollywood-Mainstreampro-duktionen, die den Filmmarkt überschwappen. Und ein Filmfreak, wie ich es bin, analysiert grundsätzlich von Beginn an jede Einstellung des Gesehenen nach Kameraperspektiven und Erzählstrukturen, so dass es ein Film sehr schwer hat, überhaupt durchzudringen. Dennoch vermochte es Hou Hsiao-Hsiens Le voyage du ballon rouge in einer Aufführung im Londoner Britischen Filminstitut im vergangenen Frühjahr, genau jenen Moment zu zaubern. Bereits nach wenigen Minuten war jeder im Kinosaal gefangen von Hous lyrisch

dahinschwebendem Ballon und seinem inno-vativem Pariser Kulturmix. Niemals zuvor habe ich erlebt, wie sich das Publikum eines voll besetzten Saales so in einem Film verlieren kann, mich selbst natürlich eingeschlossen. Le voyage du ballon rouge ist Hous erster voll-ständig außerhalb Asiens produzierter Film und eine Hommage an Alber Lamorrisses Kinderklassiker Le ballon rouge von 1956. Anders als in Lamorrisses Film folgen wir dem roten Ballon, der hier mehr als Zuschauer agiert und sporadisch Zeuge alltäglicher Erlebnisse

einer Kleinfamilie in der französischen Metro-pole Paris wird: Suzanne (Juliette Binoche), eine emotional instabile alleinerziehende Mutter und Stimmkünstlerin in einem Puppentheater, ihr liebenswerter, aber vernachlässigter Sohn Simon (Simon Iteanu) und Song (Song Fang), das neue fürsorgliche Kindermädchen von Simon. Hou selbst bezeichnet den roten Ballon in seinem Film lediglich als einen Geist, der in diese Welt zurückkehrt. Somit liegt der Schwerpunkt nicht mehr auf dem roten Ballon und dessen Beziehung zu einem Jungen, sondern eindeutig auf dem täglichen Kampf Suzannes als überforderte Mutter in der modernen Groß-stadtgesellschaft. Dabei zeich-net Hou ein sehr stimmungsvolles und ehrliches Bild von Paris, mit so vielen Details, als wäre er beinahe ein Einheimischer. Hou selbst erklärte seine Arbeitsweise in einem Interview: „Meine Sicht von Paris ist die eines

Ausländers. Dennoch ist es dieselbe, mit der ich schon in früheren Filmen Taiwan oder Asien hinterfragt habe. Es hat Jahre gedauert, diese Perspektive zu formulieren und sie hilft mir

Filmrezension

Filmrezension

Das taiwanesische Paris

Le voyage du ballon rouge

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Am 12. Januar 2009 wurde am Institut für Ost-asienwissenschaften der Universität Wien das Wiener Zentrum für Taiwanstudien förmlich gegründet.

Der Gedanke, Taiwanstudien als einen geson-derten Bereich zu etablieren, ist schon ein gutes Jahr alt. Anfang 2008 wurde zwischen dem Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien und der National Chengchi Universität ein Kooperationsabkommen abgeschlossen. Der Partner an der Chengchi University ist das Taiwan Study Center im Rang einer Fakultät. Das Abkommen sieht die jährliche Entsendung eines taiwanischen Lehrenden für einen Magisterkurs in Taiwan-studien vor.

Es wurde erstmals im Wintersemester 2008/ 09 mit dem Kurs von Professor Peng Li-chung, Professor am Graduate Institute of Develop-ment Studies der National Chengchi University, zu: Taiwan de bianqian yu fazhan: Lishi

guandian

(Taiwan's Development and Transformation

: A Historical Perspective) umgesetzt. Das

Block-seminar an vier Samstagen im Januar 2009 wurde von gut 30 Studierenden besucht, 27 von ihnen mit Abschlussnote. Die Studierenden äußerten sich begeistert über das Angebot komplett chinesischsprachigen Unterrichts, einschließlich einer

Abschlussarbeit in chine-sischer Sprache. Eine Ausweitung der Zusammenarbeit auf den Austausch von Sprachlehrenden ist

vorge-sehen. Professor Peng regte außerdem die Vorstellung von Taiwan über Filme an. Das Wiener Zentrum für Taiwanstudien wird deshalb im Sommersemester 2009 eine Film-reihe unter dem Motto Orte. Gesichter der „schönen Insel“ veranstalten.

Das Wiener Zentrum für Taiwanstudien wird außerdem im September 2009 in Wien den Workshop „Democratic Transition, Political

Culture and Social Change in Taiwan“

veran-stalten. Der Workshop dient auch zur detaillierteren Festlegung von Kooperationen zu einzelnen Themenbereichen wie dem euro-päisch-ostasiatischen Rechtskulturvergleich. Der Workshop ist ein gemeinsames Projekt des Taiwan Study Center der National Chengchi University und des Wiener Instituts für Ostasienwissenschaften, teilnehmen werden ReferentInnen von beiden Seiten. Der Workshop ist offen für Taiwan-interessierte Studierende.

Webpage: http://www.taiwanstudien.at Kontakt: astrid.lipinsky@univie.ac.at Zur Zeit der Nördlichen Song-Dynastie gab es

einen hohen Beamten namens Fan Zhong Yan. Er war nach dem frühen Tod des Vaters allein bei der Mutter aufgewachsen, die ihn unter vielen Entbehrungen großzog. Diese harte Kindheit hatte Fan Zhong Yan zu einem extrem eifrigen Schüler gemacht, der seine Tage oft im nahegelegenen Kloster beim Studium der Klassiker verbrachte. Durch großen Fleiß und Ehrgeiz brachte er es schließlich zu einem hohen Beamtenposten und sogar bis zur Präfektur in Hangzhou. Von den Menschen wurde er wegen seiner Volksnähe geachtet und auch viele der anderen Beamten waren ihm zu Dank verpflichtet, da er sie aufgrund seines außergewöhnlichen Gespürs für die Talente anderer Menschen für ihre Posten empfohlen hatte. Nicht so jedoch der Beamte Su Lin, der in seinem Amt als Aufseher unglücklich war. Denn obwohl er in Hangzhou lebte, wo auch Fan Zhong Yan tätig war, lag sein Arbeitsbereich in den Vororten der Stadt und bot ihm keine Gelegenheit, den berühmten Präfekten von seinen Talenten zu überzeugen.

Eines Tages jedoch bot eine Dienstangelegen-heit Anlass zum Treffen der beiden Männer. Su Lin freute sich sehr darauf und verfasste eigens für diese Begegnung ein Gedicht, dass er Fan Zhong Yan vortrug. Zwei Zeilen darin lauteten:

Übersetzt heißt das, die am Wasser stehenden Häuser erblicken den aufgehenden Mond früher und die der Sonne zugewandten Bäume sind die ersten, die im Frühling Knospen und Blüten bekommen.

Durch diese Metapher wollte Su Lin seinen Verdruss darüber ausdrücken, dass all jene, die in der Nähe Fan Zhong Yans waren, gute Ämter bekommen hatten, während er, der außerhalb der Stadt arbeitete, dessen Fürsprache nicht erhalten hatte. Fan Zhong Yan verstand diese Anspielung und empfahl Su Lin daraufhin sofort für ein seinen Fähig-keiten angemesseneres Amt.

Dieser Auszug aus Su Lins Gedicht wurde be-reits im Qing Ye Lu veröffentlicht und der erste Teil dieses Zitates ist als Chengyu in die chinesische Sprache eingegangen. Er bezeich-net jemanden, der aufgrund günstiger Umstände Vorteile genießt oder sprichwörtlich

„an der Quelle sitzt“. jw

Wortspüle

Taiwanstudien

Wer im Wasserpavillon sitzt, sieht den Mond zuerst

參考文獻

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