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Das Verhältnis zwischen Demokratisierung und Entwicklung der NHI in Taiwan

In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird die Stärkung der demokratischen Legitimation der behördlichen Entscheidungen und damit die Institutionalisierung der Bürgerbeteiligung meistens als eine rechtspolitische Vorgabe in Bezug auf die Organisationsreform der NHI behandelt. Ob und inwieweit es neben dem vorherrschenden Semipräsidentialismus einer zusätzlichen demokratischen Legitimationsgrundlage bedarf, ist bisher nicht eingehend erörtert worden18. Mit diesem Problem setzt sich HWANG Shu-Perng am Beispiel des anfänglichen Misserfolgs der Einführung der gestuften prozentualen Eigenbeteiligung beim In-Kraft-Treten des NHI Act auf der Grundlage von Böckenfördes monistischem Demokratieverständis auseinander19.

Nach monistischem Demokratieverständnis ist das Staatsvolk, von dem sich das Innehaben und die Ausübung aller Staatsgewalt herleiten, als eine Gesamtheit der Bürger zu begreifen. Dadurch werden sowohl beliebig gruppierte einzelne Bürger als auch Bürgerinitiativen oder von staatlichen Maßnahmen Betroffene vom Begriff des Staatsvolks abgegrenzt20. Aus dem kollektiven Bezugspunkt wird eine ununterbrochene demokratische Legitimationskette für die Ausübung staatlicher Befugnisse hergeleitet. Dabei unterscheidet Böckenförde drei Formen demokratischer Legitimation: die funktionelle und institutionelle, die organisatorisch-personelle und die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation. Die funktionelle und institutionelle Legitimation bezieht sich auf die Gewaltenteilung des Grundgesetzes, durch die das Volk die von ihm ausgehende Staatsgewalt ausübt. Die gesetzgebende, die vollziehende und die rechtsprechende Gewalt sind für sich als demokratisch autorisierte Ausübung von Staatsgewalt anerkannt. Ihre konkrete Legitimation wird weiter durch die anderen zwei Formen vermittelt. Die organisatorisch-personelle demokratische Legitimation besteht darin, dass im parlamentarischen Regierungssystem die personelle demokratische Legitimation von Amtswaltern, die mit der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben betraut sind, durch parlamentarische Zustimmung mittelbar auf das Volk zurückgeführt werden kann, während das Parlament als Repräsentationsorgan des Volkes ein notwendiges Glied innerhalb der demokratischen Legitimationskette darstellt. Hinzu tritt noch die sachlich-inhaltliche Form demokratischer Legitimation, die fordert, dass die Ausübung der Staatsgewalt ihrem Inhalt nach den Volkswillen zu vermitteln hat. Sie kommt        

18 Feng-Ming Hao, (Anm. 15), S. 83-111; Yu-Jun Lee, (Anm. 15), S. 1-64 (Chinesisch).

19 Shu-Perng Hwang, The democratic legitimation of the administrative regulation of the medical system: the National Health Insurance as an example, Taipei, National Taiwan University, Department of Law, Thesis of Master Degree, 1998, S. 108-166.

20 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. I, 2. Aufl. 1995, § 22 Rn. 27.

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zum einen dadurch zum Ausdruck, dass die Exekutive und Judikative an die vom Repräsentationsorgan des Volkes beschlossenen Gesetze gebunden sind. Zum anderen werden die Volksvertreter durch den periodisch wiederkehrenden Wahlakt unmittelbar vom Volk kontrolliert; für die Regierung und die Minister besteht sodann die Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung.21 Nach diesem Demokratieverständnis können Gruppen von Bürgern, die bestimmte Interessen oder Auffassungen vertreten und zur Geltung bringen oder gar in den offenen Prozess politischer Meinungsbildung hineinwirken wollen, sich nicht auf die demokratische Legitimation berufen, weil diese ausschließlich auf das Volk als Gesamtheit zurückzuführen ist22. Auch der funktionalen Selbstverwaltung fehlt das entscheidende Merkmal. Demgemäß ist die Autonomie der funktionalen Selbstverwaltung kein Ausdruck demokratischer Partizipation, vielmehr eigenverantwortlicher Beteiligung von Betroffenen an den auf sie bezogenen Verwaltungsaufgaben23.

Nach Hwangs Auffassung stellt Böckenfördes Modell ein überzeugendes Leitbild für das Demokratieverständnis in Taiwan dar, weil einerseits nach dem Wortlaut von Art. 2 der Verfassung in Taiwan die „Gesamtheit“ der Bürger Inhaber der Souveränität der Republik China ist und weil andererseits die durch Rechtsprechung der Verfassungsrichter festgelegten Grundsätze des gestuften Gesetzesvorbehalts und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gerade der sachlich-inhaltlichen Legitimation entsprechen.

Zugleich bemerkt Hwang auch, dass in der semipräsidentialen Regierung Taiwans der Präsident direkt vom Volk gewählt wird und selbst die Ernennung des Premierministers von der Zustimmung des Parlaments losgelöst wird. Insofern weicht die politische Willensbildung von der organisatorisch-personellen Legitimation des deutschen Modells ab. Der Unterschied ist Hwangs Meinung nach nicht relevant, weil die demokratische Legitimation aller Staatsorgane auf dieselbe Gesamtheit des Staatsvolks zurückgeführt wird24. In dieser Hinsicht bewertet Hwang den oben erwähnten Fall der anteiligen Kostenübernahme durch Patienten als Mangel an demokratischer Legitimation: zwar könne sich die Regierung bei ihrer gesetzeswidrigen Entscheidung, einen dreistufigen Festbetrag für die Kostenbeteiligung anstelle der gesetzlich vorgesehenen prozentualen Kostenbeteiligung einzuführen, auf die eigene organisatorisch-personelle Legitimation stützen. Dies widerspreche aber dem Vorrang des Gesetzes und auch der sachlich-inhaltlichen Legitimation. Ohne das Zusammenwirken der organisatorisch-personellen und der sachlich-inhaltlichen Dimensionen habe die demokratische Legitimation als defizitär zu gelten25..

Den Legitimationsmangel beim Vermittlungsausschuss für Bewertungsmaßstäbe führt Hwang als ein weiteres Beispiel an. Angesichts der informellen und beliebigen Verhandlungen zwischen Versicherungsträgern und medizinischen Leistungserbringern vor Einführung der NHI unternahm es der Gesetzgeber, im NHI Act einen transparenten und institutionalisierten Verhandlungsmechanismus einzurichten. Ziele sind zum einen die Stärkung der sachlich-inhaltlichen Legitimation der Entscheidungen von Versicherungsträgern durch die Partizipation der Leistungserbringer, zum anderen die Beibehaltung des Gesetzesvorrangs gegenüber dem vom Vermittlungsausschuss erlassenen Bewertungsmaßstab durch die Ermächtigung des Gesetzes und die Aufsichts- und Genehmigungsbefugnis des Gesundheitsministeriums.

       

21 Ernst-Wolfgang Böckenförde, (Anm. 20), § 22 Rn. 10-25.

22 Ernst-Wolfgang Böckenförde, (Anm. 20), § 22 Rn. 29.

23 Ernst-Wolfgang Böckenförde, (Anm. 20), § 22 Rn. 33.

24 Shu-Perng Hwang, (Anm. 19), S. 127-132. 

25  Shu-Perng Hwang, (Anm. 19), S. 117-118, 138-140. 

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Allerdings ist es fraglich, ob und inwieweit die am Ausschuss teilnehmenden Delegierten der Taiwan Medical Association und der Taiwan Hospital Association die sich einander entgegenstehenden Interessen von Krankenhäusern und Praxen, von lokalen Krankenhäusern und Kliniken in großen Städten angemessen und ausgewogen vertreten können, weil bisher ein koordinierender und integrierender Verhandlungsprozess für Interessenkonflikte innerhalb der berufsständischen Vereinigungen nicht existiert26. Während im Gesetz das Überweisungssystem und die entsprechende prozentuale Kostenbeteiligung von Patienten zugunsten der Praxisärzte und der lokalen Krankenhäuser eigentlich geregelt sind, sind die Regelungen des Überweisungssystems wegen des enormen Protestes von Patienten und unter dem politischen Druck von Kliniken und großen Krankenhäusern kurz nach deren Einführung ausgesetzt worden und werden in der Rechtspraxis die Regelungen der prozentualen Kostenbeteiligung nicht gesetzgemäß durchgeführt, sondern sind durch den dreistufigen Festbetrag ersetzt worden27.

In Bezug auf den letzteren Punkt steht das Verhältnis zwischen Demokratisierung und Bürgerbeteiligung im Mittelpunkt der sozialpolitischen Literatur. Nach der institutionengeschichtlichen Forschung in diesem Bereich sind die Gewerkschaften im Vergleich zu Ärztekammern und Krankenhausvereinigungen noch weniger im Stande, die internen Interessenkonflikte effektiv zu bündeln und als solidarisches Kollektiv mit dem Versicherungsträger und den Leistungserbringern zu verhandeln, weil sie sich früher unter der autoritären Herrschaft fragmentiert herausgebildet haben und ihre politische Kompetenz entsprechend eingeschränkt ist28. Ähnliches gilt auch für die Parteien. Seit der Demokratisierung richtet sich der Wettbewerb zwischen den Parteien überwiegend auf die verschiedenen Staatsidentitäten aus.

Sowohl die großen Parteien der KMT und der DPP als auch andere, kleinere Parteien vertreten keinen deutlichen Standpunkt in Fragen der der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Es passiert nicht selten, dass Abgeordnete derselben Partei sich gegen den Gesetzentwurf ihrer eigenen Partei stellen29. Dafür ist die Gesundheitsreform von 2011 ein gutes Beispiel. 2008 hatte die KMT die Präsidentschaftswahl samt 71 % der Parlamentssitze gewonnen. In den dem Parlament von der Regierung vorgelegten Gesetzesänderungsentwurf des NHI Act wurden das neue Finanzierungsmodell, der so genannte

„gesamteinkommensabhängige Beitrag pro Haushaltseinheit“, und die damit einhergehende Abschaffung der Differenzierung der Versicherten aufgenommen, welches während der Regierungszeit der DPP von 2000 bis 2008 von den zuständigen Sachverständigen vorgeschlagen wurde. Bei den parlamentarischen Sitzungen wurde das neue Modell nicht von den Abgeordneten derselben Partei unterstützt. Selbst der Finanzminister war nicht damit einverstanden. In letzter Sekunde einigten sich die Regierung und das Parlament auf einen Kompromiss „innerhalb der regierenden Partei“ und zwischen der Exekutive und der KMT-Parlamentsfraktion, demgemäß statt des gesamteinkommensabhängigen Beitrags ein Ergänzungsbeitrag aus Mieten, Zinsen und weiteren Einkünften neben dem bisherigen Lohnbeitrag eingeführt wird. Der Kern der Reform, nämlich eine gerechte Beitragsbelastung mit dem Ziel einer stärkeren        

26 Shu-Perng Hwang, (Anm. 19), S. 147-152, 155-164.

27 Kuo-Ming Lin, (Anm. 7), S. 164-168 (Chinesisch); Kuo-Ming Lin, (Anm. 11), S. 159-171 (Chinesisch).

28 Kuo-Ming Lin, (Anm. 7), S. 158-164; Department of Health, Organizational reform in the National Health Insurance – public administration and policy perspectives, 2004 (Series of second generation of National Health Insurance, Bd. 5), S. 118-126 (Chinesisch). 

29 Kuo-Ming Lin, (Anm. 7), S. 154-158 (Chinesisch). Vgl. auch Shih-Jiunn Shi und Yu-Man Yeh, Political democratization and social policy: exploring the impact of political institutions on the pension scheme-building in Taiwan, in: National Taiwan University social work review, No. 23 (June 2011), S. 47-92 (Chinesisch). 

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Solidarität unter den Versicherten wurde von der Regierungspartei aufgegeben30.

Wegen der mangelnden Integrationsfunktion der Gewerkschaften und Parteien spielen Bürgerinitiativen seit der politischen Emanzipation eine bedeutende Rolle. Je nach Thema schließen sie sich zusammen, überprüfen kontinuierlich die Finanzberichte der NHI, kommentieren die Gesetzentwürfe der Regierung und versuchen mit bestimmten Politikern zusammenzuarbeiten, um bei der staatlichen Sozialpolitik mitzuwirken31. Im Bereich der NHI sind soziale Bewegungen von Patienten und für Kinder- und Jugendwohlfahrt, Frauen-, Arbeiter-, Alters- und Behindertenrechte die Hauptakteure. Allerdings werden die Bündnisse meist kurzfristig geschlossen, sodass ihr kontinuierlicher kollektiver Einfluss auf eine bestimmte Sozialpolitik eingeschränkt bleibt32. Nach der Gesundheitsreform von 2011 wurde eine Bürgerinitiative, The Federation for the Welfare of the Elderly, als einer der Vertreter der Beitragszahler in das neu eingerichtete NHIC miteinbezogen. Ob und inwieweit das NHIC und der Vermittlungsausschuss für Bewertungsmaßstäbe ein funktionsfähiges Institut der Partizipation darstellen, ist langfristig zu beurteilen33.